Shantaram
haben oder denen helfen. Wenn ihr unabhängig von der Polizei arbeiten wollt und den Typen, aus welchem Grund auch immer, selbst jagen und außer Gefecht setzen wollt, dann helfe ich gern. Und wenn ihr seine Bande, wer immer das auch sein mag, bekämpfen wollt, dann könnt ihr auf mich zählen.«
»Noch etwas?«
»Nein. Das … das … ist eigentlich alles.«
»Gut, Lin«, erwiderte er. Sein Gesicht war ausdruckslos, als er mich musterte, doch in seinen Augen lag ein rätselhaftes Lachen. »Ich nehme an, es wird dich beruhigen, wenn ich dir versichere, dass ich zwar eine Menge Polizisten finanziell unterstütze, um es einmal so auszudrücken, dass ich aber nie mit ihnen zusammenarbeite. Allerdings kann ich dir auch sagen, dass der Fall Sapna für mich eine zutiefst persönliche Angelegenheit ist, und ich möchte dich darum bitten, dich ausschließlich an mich zu wenden, wenn du etwas über diesen furchtbaren Menschen in Erfahrung bringst. Du sprichst bitte weder mit den anderen Herren, die du gestern Abend hier kennen gelernt hast, noch mit irgendjemand anderem über diesen Sapna. Sind wir uns da einig?«
»Ja. Ja, sind wir.«
»War sonst noch etwas?«
»Äh, nein.«
»Sehr gut. Also: Ich habe heute sehr wenig Zeit, Lin, deshalb komme ich sofort zur Sache. Der Gefallen, von dem ich gestern sprach – ich möchte gern, dass du einem kleinen Jungen namens Tariq die englische Sprache beibringst. Natürlich nicht bis in die letzten Untiefen, aber doch so weit, dass sein Englisch deutlich besser wird und er einen kleinen Vorsprung hat, wenn er mit seiner regulären Ausbildung beginnt.«
»Na ja, äh … as kann ich gerne versuchen«, stammelte ich verdutzt, aber nicht verunsichert. Ich fühlte mich durchaus in der Lage, jemandem die Grundlagen der Sprache zu vermitteln, in der ich schon mein Leben lang täglich schrieb. »Ich weiß nicht, wie gut ich das kann – es gibt sicher eine Menge Leute, die besser sind als ich. Aber ich will es gern versuchen. Wo soll der Unterricht denn stattfinden? Hier?«
Er sah mich mit gütiger, beinahe liebevoller Herablassung an.
»Aber nein – er wird natürlich bei dir wohnen. Ich will, dass er die nächsten zehn, zwölf Wochen ständig bei dir ist. Dass er bei dir wohnt, mit dir isst, bei dir schläft und dass er da hingeht, wo du auch hingehst. Ich will nicht einfach nur, dass er englische Sätze lernt. Ich will, dass er die englischen Manieren lernt. Deine Manieren. Und das soll er lernen, indem er ständig in deiner Gesellschaft ist.«
»Aber … ich bin doch gar kein Engländer«, wandte ich dümmlich ein.
»Das macht nichts. Du bist englisch genug für diesen Zweck, findest du nicht? Du bist Ausländer, und du wirst ihm die Lebensweise eines Ausländers beibringen. Das ist mein Wunsch.«
In meinem Kopf herrschte Wirrwarr, und meine Gedanken flatterten und stoben auseinander wie die beiden Tauben, die er mit seiner Stimme aufgescheucht hatte. Ich musste einen Ausweg finden. Das war ausgeschlossen.
»Aber ich lebe im Zhopadpatti, das weißt du doch. Da geht es ziemlich rau zu. Meine Hütte ist winzig, und es ist nichts drin. Er wird es nicht bequem haben. Und es ist … schmutzig und eng und … wo würde er überhaupt schlafen?«
»Deine Situation ist mir wohlbekannt, Lin«, antwortete er, und seine Stimme nahm einen scharfen Unterton an. »Genau das soll er doch kennen lernen, dein Leben im Zhopadpatti! Sage mir ehrlich: Kann man deiner Meinung nach im Slum etwas lernen? Glaubst du, es könnte ihm guttun, eine Weile bei den ärmsten Menschen der Stadt zu leben?«
Natürlich glaubte ich das. Ich war davon überzeugt, dass die Erfahrung, im Slum zu leben, jedem Kind guttun würde, vor allem den Söhnen und Töchtern der Reichen.
»Ja, ich denke schon. Es ist tatsächlich wichtig zu wissen, wie die Menschen dort leben. Aber du musst verstehen – das ist eine gewaltige Verantwortung für mich. Ich schaffe es mit Mühe und Not, für mich selbst zu sorgen. Ich weiß nicht, wie ich mich da um ein Kind kümmern soll.«
Nasir kam mit dem Tee und einem vorbereiteten Chillum.
»Ah, da kommt unser Tee. Zuerst rauchen wir, ja?«
Zunächst rauchten wir also gemeinsam. Nasir hockte sich auf die Fersen, um mitzurauchen. Während Khaderbhai an dem tönernen Trichter zog, bedachte mich Nasir mit einer komplexen Abfolge aus Kopfnicken, Stirnrunzeln und Augenzwinkern, als wollte er mir sagen: Schau nur, schau, wie mein Gebieter raucht, schau, was für ein großer Herr er ist,
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