Shantaram
große ovale Hof war mit schweren, quadratischen Steinplatten ausgelegt und von einem Säulengang umgeben, der an ein Kloster erinnerte. In der Mitte war er zum Himmel hin offen, als hätte man ein Loch in die massive Decke geschnitten, und in diesem inneren Teil hatte man einen Garten mit vielen Grünpflanzen, fünf hohen, schlanken Palmen und blühenden Sträuchern angelegt. Der Springbrunnen, dessen Plätschern ich in dem Versammlungsraum gehört hatte, wo wir über das Leid gesprochen hatten, bildete das Herzstück des Hofs: ein rundes Marmorbecken von etwa einem Meter Höhe und einem Durchmesser von vier Metern, in dessen Zentrum ein großer, unbehauener Fels stand. Das Wasser schien direkt aus dem Innern des riesigen Steins emporzusteigen. Es bildete eine kleine Fontäne, die sich an der Spitze lilienförmig auffächerte, um sich dann sanft über den glatten, rundgeschliffenen Stein zu ergießen und mit rhythmischem, musikalischem Plätschern in das Becken zu rinnen. Auf einem Rohrstuhl neben dem Springbrunnen saß Khaderbhai. Er las ein Buch, das er zuklappte und auf einen Glastisch legte, sobald ich in Erscheinung trat.
»Salaam aleikum, Lin«, begrüßte er mich lächelnd. Friede sei mit dir.
»Wa aleikum salaam. Aap kaise hain?« Friede sei auch mit dir. Wie geht es Ihnen, Sir?
»Mir geht es gut, danke. Verrückte Hunde und Engländer mögen in der Mittagssonne herumspringen, wie Noel Coward so schön singt, aber ich ziehe es vor, hier im Schatten meines bescheidenen Gartens zu sitzen.«
»So bescheiden ist er nun auch wieder nicht, Khaderbhai«, bemerkte ich.
»Findest du ihn zu luxuriös?«
»Nein, nein, so habe ich das nicht gemeint«, versicherte ich ihm rasch, denn genau das hatte ich gerade gedacht. Unwillkürlich sah ich vor meinem inneren Auge den Slum, der auch ihm gehörte – dieses staubige, unfruchtbare Gelände mit seinen fünfundzwanzigtausend Menschen, wo es nach acht regenlosen Monaten kein Grün mehr gab und das einzig erhältliche Wasser rationiert war und aus Reservoirs kam, die meist mit einem Vorhängeschloss versperrt waren. »Das ist der schönste Ort, den ich in Bombay bislang gesehen habe. Von der Straße aus hätte ich so et-was hier drinnen niemals vermutet.«
Er starrte mich einige Augenblicke wortlos an, als wollte er das exakte Ausmaß meiner Lüge abschätzen, und wies dann auf einen kleinen Hocker, die einzige andere Sitzgelegenheit im Innenhof.
»Bitte setz dich, Lin. Hast du schon gegessen?«
»Ja, danke. Ich habe spät gefrühstückt.«
»Dann erlaube zumindest, dass ich dir einen Tee anbiete. Nasir! Idharao!«, rief er, was ein Taubenpaar erschreckte, das zu seinen Füßen nach Brotkrumen pickte. Die Vögel flogen auf und umflatterten Nasirs Brust, als er auftauchte. Sie schienen keine Angst vor ihm zu haben, schienen ihn sogar zu kennen, denn sie landeten wieder auf den Steinplatten und folgten ihm wie kleine Hündchen.
»Chai bono, Nasir«, befahl Khaderbhai. Er sprach in gebieterischem, aber nicht strengem Ton mit seinem Fahrer. Ich vermutete, dass dies auch der einzige Umgangston war, mit dem Nasir sich wohl fühlte und den er respektierte. Der stämmige Afghane zog sich lautlos zurück, und die Vögel hüpften ihm eilig nach und folgten ihm ins Haus.
»Khaderbhai, bevor wir über etwas anderes reden, würde ich gerne … etwas sagen«, begann ich leise. Bei meinen nächsten Worten schnellte sein Kopf in die Höhe, und ich wusste, dass ich seine volle Aufmerksamkeit hatte: »Es geht um Sapna.«
»Sprich weiter«, murmelte er.
»Na ja, ich habe gestern Abend noch lange über unsere Diskussion nachgedacht und über das, worum du mich bei dem Treffen gebeten hast, also, dass ich euch helfen soll. Und … na ja, damit habe ich ein Problem.«
Er lächelte und zog fragend eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts, sodass ich gezwungen war, mich genauer zu erklären.
»Ich weiß, das mag jetzt etwas seltsam klingen, aber es käme mir einfach falsch vor. Was dieser Kerl auch getan hat, ich möchte jedenfalls nicht in die Position geraten, eine Art … eine Art Polizist zu sein. Es wäre mir nicht recht, mit den Bullen zusammenzuarbeiten, auch indirekt nicht. In meiner Heimat ist der Ausdruck ›der Polizei bei ihren Ermittlungen helfen‹ ein Euphemismus für ›jemanden verpfeifen‹. Es tut mir leid. Wenn ihr ihn unbedingt jagen wollt, ist das allein eure Angelegenheit. Ich bin gern behilflich, wo es geht – das ja. Aber ich will nichts mit den Bullen zu tun
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