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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Umarmung allein. Als die stählerne Zellentür hinter Kano und seinen Führern ins Schloss fiel, hallte das Rasseln über den leeren Exerzierplatz und wurde als Echo von den Steinwänden zurückgeworfen. Das Geräusch jagte mir einen Schauder über den Rücken, als Prabaker und ich das Polizeigebäude verließen.
    »Hast du etwas viel Anständiges getan heute Nacht, Lin«, schwärmte Prabaker. »Muss man sein Bär lieb haben. Haben sie das gesagt, diese Bärführburschen, und hast du es wahrgemacht. Ist das sehr, sehr, sehr anständig, was du da hast gemacht.«
    Vor der Polizeiwache, auf dem Colaba Causeway, weckten wir einen schlafenden Taxifahrer. Prabaker setzte sich zu mir auf die Rückbank und genoss die Gelegenheit, in einem der Taxis, die er selbst so oft fuhr, Tourist spielen zu dürfen. Als sich der Wagen in Bewegung setzte, wandte ich den Kopf und sah, dass er mich anstarrte. Ich schaute weg. Wenig später drehte ich mich erneut zu ihm um, und da starrte er mich immer noch an. Ich runzelte die Stirn. Er schüttelte den Kopf, schenkte mir sein entwaffnendes Lächeln und legte die Hand aufs Herz.
    »Was ist denn?«, fragte ich gereizt, obwohl sein Lächeln, wie er sehr wohl wusste, unwiderstehlich war und ich innerlich bereits mitlächelte.
    »Muss man …«, begann er mit weihevoller Feierlichkeit.
    »Nicht schon wieder, Prabu.«
    »… sein Bär lieb haben«, schloss er, klopfte sich auf die Brust und schüttelte heftig den Kopf.
    »Himmel hilf«, stöhnte ich und wandte mich wieder ab, um die ersten Regungen der erwachenden Straße zu beobachten.
    Am Eingang des Slums trennten wir uns, und Prabaker steuerte aufgeregt Kumars Chai-Shop an. Dank unseres Abenteuers mit Kano, dem Bär, gab es eine faszinierende neue Geschichte – mit ihm selbst in einer entscheidenden Rolle –, die er Parvati, einer von Kumars zwei hübschen Töchtern, berichten konnte. Er hatte mir nichts von Parvati erzählt, aber ich hatte ihn mit ihr reden sehen und nahm stark an, dass er in sie verliebt war. Bei Prabakers Art des Liebeswerbens brachte der junge Mann seiner Angebeteten keine Blumen oder Pralinen; er brachte ihr Geschichten aus der weiten Welt, wo Männer sich mit den Dämonen der Begierde und grausamen Ungerechtigkeiten herumschlugen. Er brachte ihr Klatsch und Skandale und intime Geheimnisse. Er brachte ihr die Wahrheit seines tapferen Herzens und das schelmische ehrfürchtige Staunen dar, das die Quelle seines Gelächters und dieses kolossalen Lächelns war. Ich blickte ihm nach, wie er zum Chai-Shop eilte und dabei bereits kopfschüttelnd und wild gestikulierend die Geschichte probte, die er ihr als Morgengabe bringen würde.
    Während ich weiter durch den ersten grauen Tagesschimmer ging, erwachte murmelnd der Slum zum Leben. Der Rauch Hunderter kleiner Feuer zog durch die Gassen. In bunte Tücher gehüllte Gestalten tauchten auf und verschwanden in den dunstigen Schwaden. Der Duft von bratenden Rotis und dampfendem Tee vermengte sich mit Menschengerüchen: Kokoshaaröl, Sandelholzseife und kampfergetränkte Kleider. An jeder Biegung der gewundenen Gassen grüßten mich verschlafene Gesichter, lächelten mich an und brachten mir die morgendlichen Segenswünsche dar, in sechs Sprachen und ebenso vielen Glaubensrichtungen. Ich betrat meine Hütte und betrachtete die bescheidene, heimelige Schäbigkeit mit ganz neuen, zärtlichen Augen. Es tat gut, zu Hause zu sein.
    Ich räumte auf und schloss mich dann der morgendlichen Prozession der Männer zur Betonmole an, die wir als Latrine benutzten. Als ich zurückkam, stellte ich fest, dass meine Nachbarn mir zwei volle Eimer heißes Wasser für eine Dusche bereitgestellt hatten. Ich raffte mich nur selten zu der mühsamen und zeitaufwendigen Prozedur auf, mehrere Töpfe Wasser auf dem Petroleumkocher zu erhitzen, und hielt mich an die bequemere, wenn auch weniger luxuriöse Option der kalten Dusche. Meine Nachbarn wussten das und schenkten mir deshalb manchmal heißes Wasser. Es war kein geringer Dienst. Das Wasser, in jedem Slum das kostbarste Gut, musste vom öffentlichen Reservoir im legalen Teil des Slums geholt werden, etwa dreihundert Meter hinter dem Stacheldrahtzaun. Da das Reservoir nur zweimal am Tag zugänglich war, drängten sich dann Hunderte von Menschen dort und rangelten um das kostbare Nass. Jeder Eimer wurde unter Gerempel, Geschrei und Einschüchterungsgesten geborgen. Wenn man das Wasser endlich durch den Stacheldraht gehievt und zur Hütte geschleppt

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