Shantaram
hatte, musste es auf kleinen Petroleumkochern erhitzt werden, was nicht wenig von dem relativ teuren Brennstoff verschlang. Doch wenn meine Nachbarn heißes Wasser für mich machten, stellten sie es einfach bei mir ab, ohne Dank dafür zu erwarten. Vielleicht war das Wasser, das ich jetzt benutzte, von Amirs Familie heiß gemacht und hergebracht worden, als kleine Anerkennung dafür, dass ich ihn verarztet hatte. Vielleicht kam es aber auch von meinen direkten Nachbarn oder von einem der fünf, sechs Leute, die um mich herumstanden und mir beim Duschen zusahen. Ich würde es nie erfahren. Es war eine jener kleinen Gefälligkeiten, die mir die Leute ohne großes Aufhebens Woche für Woche erwiesen.
In gewissem Sinne gründete das Ghettoleben auf solchen anonymen, nicht mit Dank zu vergeltenden Taten: Jede für sich genommen war unbedeutend, fast banal, in ihrer Summe jedoch waren sie entscheidend für das Funktionieren des Slums. Wir beruhigten die weinenden Nachbarskinder wie unsere eigenen. Wir spannten eine lose Schnur an einer Hütte, wenn wir merkten, dass diese zusammensackte, rückten im Vorbeigehen ein verrutschtes Plastikdach zurecht. Wir halfen einander, ohne zu fragen, als wären wir Angehörige eines einzigen großen Stammes oder einer riesigen Familie. Und die Hütten waren die Zimmer in einem großen gemeinsamen Haus.
Auf Qasim Ali Husseins Einladung frühstückte ich mit ihm. Wir tranken süßen, mit Nelke gewürzten Tee und aßen waffelartige Roti-Rollen, die mit Ghee und Zucker gefüllt waren. Am Tag zuvor hatten Ranjits Leprakranke eine neue Lieferung Medikamente und Verbandsmaterial gebracht und sie bei Qasim Ali abgegeben, da ich den ganzen Nachmittag weg gewesen war. Jetzt gingen wir sie zusammen durch. Qasim Ali konnte weder Englisch lesen noch schreiben und bestand darauf, dass ich ihm ausführlich erklärte, welche Wirkstoffe die Kapseln, Tabletten und Salben, die ich bestellt hatte, genau enthielten und wozu sie gut waren. Einer seiner Söhne, Ayub, saß bei uns und notierte auf kleine Zettel Namen und Beschreibung jedes einzelnen Medikaments in Urdu, die er dann geduldig mit Klebestreifen an den jeweiligen Döschen und Tuben befestigte. Damals wusste ich noch nicht, dass Qasim Ali Ayub zu meinem Gehilfen bestimmt hatte: Er sollte so viel wie möglich über die Medikamente und ihre Verwendung lernen, damit er meine Stelle einnehmen konnte, wenn ich irgendwann – womit das Slumoberhaupt fest rechnete – aus dem Slum wegziehen würde.
Erst um elf kam ich schließlich dazu, mich zu Karlas kleinem Haus in der Nähe des Colaba Market aufzumachen. Auf mein Klopfen hin passierte jedoch nichts. Ihre Nachbarn sagten mir, sie sei vor etwa einer Stunde weggegangen, aber sie wüssten nicht, wann sie wiederkäme. Ich war sauer. Meine Jeans und meine Stiefel waren immer noch bei ihr, und ich wollte sie unbedingt wiederhaben, um die locker sitzenden, aber dennoch unbequemen Kleider, die sie mir gegeben hatte, endlich loszuwerden. Ich hatte nicht übertrieben, als ich ihr sagte, meine Garderobe bestünde fast nur aus diesen Jeans, dem T-Shirt und den Stiefeln. Wenn ich die Ersatzgarnitur wusch, hatte ich nur noch meine Lungis, die ich ansonsten zum Schlafen und Duschen trug. Ich hätte mir natürlich neue Sachen kaufen können – T-Shirt, Jeans und Joggingschuhe hätte ich auf dem Kleiderbasar in der Fashion Street für vier oder fünf amerikanische Dollar bekommen –, aber ich wollte unbedingt meine eigenen Kleider wiederhaben, die Kleider, die sich für mich richtig anfühlten. Ich hinterließ ihr eine missmutige Nachricht und machte mich auf den Weg zu meiner Verabredung mit Khaderbhai.
Das große Haus in der Mohammed Ali Road wirkte leer, als ich ankam. Die Falttür am Hauseingang war zusammengeschoben und gewährte Einblick in die geräumige marmorne Eingangshalle. Den ganzen Tag lang gingen zahllose Menschen daran vorbei, doch man kannte das Haus, und niemand auf der Straße schien mich zu beachten, als ich einfach eintrat, nachdem ich die grünen Türklopfer betätigt hatte. Wenig später erschien Nasir und begrüßte mich mit finster gerunzelter Stirn. Er wies mich an, meine Straßenschuhe gegen Hausschuhe zu tauschen, und führte mich dann einen hohen schmalen Korridor entlang, diesmal jedoch nicht zu dem Raum vom Abend zuvor, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Wir passierten eine Reihe geschlossener Türen, bogen zweimal um die Ecke und gelangten schließlich in einen Innenhof.
Der
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