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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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leuchtend wie die Blütenblätter, die aus unseren Haaren wehten und an unseren Gesichtern hafteten wie stille weiße Tränen.

A CHTZEHNTES K APITEL
     

    D er felsige Küstenabschnitt am Rande des Slums begann als Mangrovensumpf zur Linken und zog sich in einer langen Sichelmondkurve an tieferem Wasser entlang, dessen kleine Wellen weiße Schaumkronen trugen, bis zum Nariman Point. Der Monsun hatte seinen Höhepunkt erreicht, doch im Moment stürzten keine Regenfluten aus dem grauschwarzen Ozean des von Blitzen zerrissenen Himmels. Watvögel landeten im flachen Sumpf und suchten sich ein Plätzchen zwischen den schlanken, bebenden Schilfhalmen. Fischerboote zogen ihre Netze durch die zerklüfteten Wellen der Bucht. Kinder schwammen und spielten am kiesigen, von Felsbrocken übersäten Ufer. Auf dem goldenen Halbrund jenseits der kleinen Bucht bis zum Konsulatsviertel am Ende des Nariman Point erhoben sich die Apartmentgebäude der Wohlhabenden, deren reiche Bewohner in den ausladenden Innenhöfen und Freizeitanlagen umherspazierten, wenn sie an der frischen Luft sein wollten. Vom fernen Slum aus betrachtet, erinnerten die weißen Hemden der Männer und die bunten Saris der Frauen an Perlen, die jemand auf die schwarzen Schnüre der Asphaltwege gefädelt hatte. Die Luft war hier, am küstennahen Rand des Slums, sauber, kühl und so still, dass sie auch die vereinzelten Geräusche schluckte. Diese Gegend trug den Namen Colaba Back Bay. Kaum ein Ort in der Stadt war besser geeignet für die Selbstbesinnung eines Mannes auf der Flucht, wenn die Zeichen schlecht für ihn stehen.
    Ich saß allein auf einem Fels, der größer und flacher war als die meisten anderen, und rauchte eine Zigarette. Damals rauchte ich noch, denn wie jeder Raucher der Welt wollte ich mindestens genauso gerne sterben, wie ich leben wollte.
    Plötzlich schob die Sonne die regengeschwängerten Monsunwolken zur Seite, und einen Moment lang wurden die Fenster der Apartmenthäuser auf der anderen Seite der Bucht glänzende, blendende Spiegel für die goldene Sonne. Dann ballten sich die Regenwolken am Horizont erneut zusammen und versiegelten langsam das leuchtende Himmelsrund, drängten sich aneinander, bis der Himmel mit seinen dunklen Wolkenwellen zum Ebenbild des wogenden Meeres wurde.
    Ich zündete mir mit meiner fast aufgerauchten Zigarette eine neue an und dachte über die Liebe nach. Und über Sex. Auf Didiers Drängen hin, der seinen Freunden nur in einem Punkt keine Geheimniskrämerei gestattete – in ihren Liebesangelegenheiten nämlich –, hatte ich zugegeben, dass ich seit meiner Ankunft in Indien mit niemandem mehr geschlafen hatte. Da warst du aber ganz schön lange trocken, mein Freund, hatte er mit entsetzter Miene gesagt, ich würde vorschlagen, dass du dir mal wieder ordentlich die Kante gibst, wenn du verstehst, was ich meine, und zwar möglichst bald. Er hatte natürlich recht: Je länger ich es nicht tat, desto mehr Raum nahm es in meinen Gedanken ein. Im Slum war ich von schönen indischen Mädchen und Frauen umgeben, die kleine Symphonien der Inspiration in mir zum Erklingen brachten. Ich ließ meine Blicke und Gedanken nie zu lange in ihre Richtung wandern – das hätte alles, was ich als Slumarzt war und tat, gefährdet. Mit Ausländerinnen, mit Touristinnen boten sich aber alle paar Tage Gelegenheiten, bei jedem zweiten oder dritten Deal, den ich machte. Deutsche, französische oder italienische Mädchen, denen ich beim Kauf von Haschisch oder Gras geholfen hatte, luden mich oft auf einen Joint in ihr Hotelzimmer ein. Ich wusste, dass sie meistens mehr als das Rauchen im Sinn hatten. Und ich war durchaus versucht. Manchmal geradezu schmerzlich. Doch ich konnte Karla nicht vergessen. Und tief in meinem Innern – ich weiß immer noch nicht, ob eine solche Ahnung aus Liebe, Angst oder Vernunft erwächst – spürte ich intuitiv, dass ich auf sie warten musste, wenn ich wollte, dass sich zwischen uns etwas entwickelte.
    Ich konnte diese Liebe weder Karla erklären noch irgendeinem anderen Menschen, mich selbst eingeschlossen. Ich hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt – bis ich sie am eigenen Leib erlebte. Bis mein Körper sich anfühlte, als sei jede Zelle ganz plötzlich von Hitze und Licht erfüllt. Ich war für immer verändert, als mein Blick auf sie fiel. Und die Liebe, die sich in meinem Herzen entfaltete, schien von diesem Augenblick an mein bisheriges Leben mit sich zu ziehen. Ich hörte ihre Stimme in

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