Shantaram
Anscheinend ist diese Stelle mit ziemlichem Prestige verbunden und führt auf direktem Weg zu einem Redakteursposten. Es gab viele äußerst talentierte Anwärter, und sie freut sich selbstverständlich ungemein, dass sie ihn bekommen hat.«
»Ich mag Kavita«, sagte ich unwillkürlich.
»Weißt du was«, sagte Didier, der gerade noch das glühende Ende seines Beedie betrachtet hatte und jetzt aufrichtig erstaunt zu mir aufsah, »ich auch.«
Wir lachten wieder, und ich bezog Prabaker dabei bewusst mit ein. Parvati beobachtete uns unauffällig mit ihren Glutaugen.
»Übrigens«, fragte ich, die kurze Gesprächspause nutzend, »sagt dir der Name Hassan Obikwa etwas?«
Didiers Bemerkung über Maurizios neue Zehntausend-Dollar-Rolex hatte mich an den Nigerianer erinnert. Ich zog die goldweiße Visitenkarte aus meiner Hemdtasche und reichte sie Didier.
»Na sicher!«, antwortete Didier. »Das ist ein berühmter Borsalino. Im afrikanischen Ghetto nennen sie ihn den Leichenräuber.«
»Na, das fängt ja gut an«, murmelte ich mit einem schiefen Lächeln. Prabaker klatschte sich auf den Oberschenkel, beugte sich vor und lachte noch lauter, beinahe hysterisch. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen.
»Es heißt, wenn Hassan Obikwa eine Leiche raubt, kann nicht mal der Teufel sie mehr finden. Kein Lebender bekommt sie je wieder zu Gesicht. Jamais! Woher kennst du ihn? Wie bist du an seine Karte gekommen?«
»Ich bin heute Morgen zufällig mehr oder weniger auf ihn gestoßen«, erwiderte ich, nahm die Karte wieder an mich und steckte sie ein.
»Na, dann pass bloß auf dich auf, mein lieber Freund«, brummte Didier, sichtlich gekränkt, weil ich ihm die Einzelheiten meiner Begegnung mit Hassan Obikwa vorenthielt. »Dieser Obikwa ist eine Art König, ein schwarzer König, mit eigenem Königreich. Und du kennst ja den alten Spruch – ein König ist ein schlimmer Feind, ein noch schlimmerer Freund und ein verheerender Verwandter.«
In diesem Moment kam eine Gruppe junger Männer auf uns zu. Es waren Arbeiter von der Baustelle, die fast alle auf der genehmigten Seite des Slums wohnten. Jeder von ihnen war irgendwann im Laufe des vergangenen Jahres in meiner kleinen Praxis aufgetaucht, die Meisten wegen irgendeiner kleinen Verletzung, die sie sich bei einem Arbeitsunfall zugezogen hatten. Auf der Baustelle war heute Zahltag, und sie waren von jener begeisterten Zuversicht beschwingt, die eine volle Lohntüte bei hart arbeitenden jungen Menschen auslöst. Sie gaben mir der Reihe nach die Hand und blieben bei uns stehen, bis die Runde Tee und der süße Kuchen, die sie uns ausgaben, an unseren Tisch gebracht wurden. Als sie gingen, grinste ich genauso breit wie sie.
»Diese Sozialarbeit hier scheint dir zu entsprechen«, bemerkte Didier mit schelmischem Lächeln. »Du wirkst so fit und gesund – also, unter den Kratzern und blauen Flecken zumindest. Im Grunde deines Herzens musst du ein richtig schlechter Mensch sein, Lin. Nur einem schlechten Menschen bekommen gute Werke so offensichtlich. Ein guter Mensch wäre einfach nur erschöpft und schlecht gelaunt.«
»Da könntest du recht haben, Didier«, sagte ich, immer noch grinsend.
»Karla hat mal gesagt, dass es meist stimmt, was du über die schlechten Seiten von Leuten sagst, die du kennst.«
»Ich muss schon sehr bitten, mein Guter!«, protestierte er. »Alter Schmeichler!«
Draußen vor dem Teehaus brach plötzlich ein ohrenbetäubendes Getrommel los. Schnell gesellten sich Flöten und Trompeten hinzu, und eine wilde, derbe Musik ertönte. Ich kannte die Musik und die Musiker gut. Sie gaben eines jener schrillen populären Lieder zum Besten, die Slummusiker immer aufspielten, sobald es irgendwo ein Fest oder eine Feier gab. Wir traten alle an die offene Vorderseite des Chai-Shops, und Prabaker stellte sich neben uns auf eine Bank, um über die Schultern der Schaulustigen zu spähen.
»Was ist das? Eine Parade?«, fragte Didier, während eine vielköpfige Truppe langsam an uns vorüberzog.
»Ist das Joseph!«, rief Prabaker und deutete in die Gasse. »Joseph und Maria! Kommen sie jetzt!«
Etwas weiter weg sahen wir, wie Joseph und seine Frau im Geleit ihrer Verwandten mit langsamen, feierlichen Schritten näher kamen. Kinder liefen vor ihnen her, tanzten und tollten unbefangen und wie wild umher. Einige ahmten Posen und Schrittfolgen ihrer Lieblings-Tanzszenen aus Bollywood-Filmen nach. Andere sprangen wie Akrobaten oder erfanden eigene
Weitere Kostenlose Bücher