Shantaram
frischte die abendliche Schwüle etwas auf. Unser kleiner Unterstand dort am Sandstrand neben den vielen Booten bot Ausblick auf die wogende See. Wir aßen Chicken Biryani, Malai Kofta, Gemüsecurry, frittierte Kartoffeln, Zwiebeln, Kürbis- und Blumenkohlstücke, heißes gebuttertes Naan-Brot, Dhal, Papadams und grünes Mango-Chutney. Es war ein richtiges Festmahl, und die helle Freude, die den Kindern aus den Augen strahlte, während sie sich satt aßen, erfüllte unser Lächeln mit dem Licht der Sterne.
Als die Nacht hereinbrach, fuhr ich mit dem Taxi zurück zur Touristenmeile von Colaba. Ich wollte ein paar Stunden im India Guest House verbringen. Wegen des C-Formulars im Hotel machte ich mir keine Gedanken – ich wusste, dass ich mich nicht ins Gästebuch eintragen musste und dass Anand mich nicht als Hotelgast registrieren würde. Wir hatten uns schon vor Monaten geeinigt, dass ich ab und zu, stundenweise und unter der Hand, ein Zimmer mieten konnte, um zu duschen oder in Ruhe Geschäfte abzuwickeln. So war das in den meisten billigeren Hotels der Stadt. Ich wollte mich rasieren, mindestens eine halbe Stunde unter der Dusche stehen und Seife und Shampoo im Überfluss benutzen. Ich wollte mich in einem weiß gekachelten Badezimmer aufhalten, wo ich die Cholera vergessen konnte, und mir die letzten Wochen von der Haut schrubben.
»Oh Lin! Gut, dass du kommst«, murmelte Anand mit zusammengebissenen Zähnen, als ich den Empfangsraum des Hotels betrat. Seine Augen glitzerten angespannt, und auf seinem schönen, schmalen Gesicht lag ein grimmiger Ausdruck. »Wir haben ein Problem. Komm schnell mit!«
Er führte mich in eines der Zimmer, die vom Hauptkorridor abgingen. Ein Mädchen öffnete uns die Tür und begann sofort, auf Italienisch auf uns einzureden. Sie wirkte verstört und verwahrlost. Flusen und Essensreste hingen in ihren verfilzten Haaren. Ihr dünnes Nachthemd war verrutscht und gab den Blick auf ihre Rippen frei. Eine Fixerin, so zugedröhnt, dass sie fast im Stehen einschlief, aber dennoch lag ein panischer Unterton in ihrem wirren Gerede.
Auf dem Bett lag ein junger Mann mit nacktem Oberkörper. Seine Hose war offen. Den rechten Stiefel hatte er abgestreift, der linke steckte noch am Fuß, und ein Bein hing übers Fußende des Bettes. Ich schätzte ihn auf etwa achtundzwanzig. Und er war tot.
Kein Puls. Kein Herzschlag. Keine Atmung. Die Überdosis hatte ihn in den tiefen schwarzen Brunnen des ewigen Schlafes gestürzt, und sein Gesicht war so dunkel wie der Himmel um fünf Uhr nachmittags am dunkelsten Tag des Jahres. Ich hievte ihn ganz aufs Bett und legte ihm ein zusammengewickeltes Laken unter den Nacken.
»Ganz schlecht fürs Geschäft, Lin«, sagte Anand knapp. Er lehnte an der geschlossenen Tür, damit niemand hereinkommen konnte.
Ich ignorierte ihn und begann mit der Herz-Lungen-Reanimation. Die Prozedur war mir nur allzu vertraut. Während meiner eigenen Zeit als Fixer hatte ich Dutzende anderer Junkies wieder ins Leben zurückgeholt, wenn sie sich eine Überdosis verpasst hatten. Fünfzig-, wenn nicht achtzigmal hatte ich das in meiner Heimat getan, hatte lebende Tote mit meinem Atem und durch den Druck meiner Hände wieder ins Diesseits befördert. Ich drückte auf das Herz des jungen Mannes, konzentrierte mich mit meiner Willenskraft darauf, es wieder zum Schlagen zu bringen, und blies Luft in seine Lunge. Nach zehn Minuten hörte ich ein stotterndes Geräusch, und er begann zu husten. Ich blieb vor ihm auf den Knien und beobachtete, ob er es schaffte, allein weiterzuatmen. Sein Atem ging erst langsam, dann noch langsamer, und schließlich kam er mit einem dumpfen Seufzer wieder zum Stocken. Es war ein flacher, entseelter Laut, der sich anhörte wie Luft, die durch einen Riss im Gestein eines Geysirs austritt. Ich setzte die Herz-Lungen-Reanimation fort. Es war Schwerarbeit, den schlaffen Körper mit meinen Armen und meiner Lunge wieder aus dem tiefen schwarzen Brunnen des ewigen Schlafes zu ziehen.
Das Mädchen wurde zweimal bewusstlos, während ich ihren Freund bearbeitete. Anand gab ihr jeweils eine Ohrfeige und schüttelte sie so lange, bis sie wieder aufwachte. Drei Stunden nachdem ich das Hotel betreten hatte, verließen Anand und ich das Zimmer. Wir waren beide durchgeschwitzt, unsere Hemden so nass, als hätten wir im Regen gestanden, der von draußen gegen die Fensterscheiben trommelte. Das Junkie-Pärchen war jetzt bei Bewusstsein und mürrisch und wütend, obwohl das
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