Shantaram
ihnen regelrecht auf, versuchte sogar, ihnen die Scheine in die Brusttasche ihrer Hemden zu stecken, aber sie lehnten es kategorisch ab. Sie waren arme, müde, sorgengeplagte Männer, aber zugleich waren sie Inder, und jeder Inder ist der festen Überzeugung, dass die Liebe zwar nicht in Indien erfunden wurde, hier aber ihre Vollendung erfuhr.
In der Nähe des Radio Club Hotel, nicht weit von Anands India Guest House, ließen wir den langen flachen Kahn in das seichte Wasser auf der überschwemmten Straße ab. Shantu überreichte mir das Ölzeug, mit dem er sich immer trocken hielt, wenn sein Taxi wieder einmal den Geist aufgab, und seine abgenutzte schwarze Chauffeursmütze als Glücksbringer. Er winkte uns nach, als Vinod und ich uns auf den Weg zum Taj Mahal Hotel machten. Wir stocherten die Straße entlang, auf der normalerweise Taxis und Laster, Motorräder und Privatwagen fuhren. Jedes Mal, wenn wir die Stangen eintauchten, war das Wasser ein bisschen tiefer geworden, und an der Ecke Best Street, wo der Komplex des Taj Mahal Hotel begann, stand es schließlich hüfthoch.
Das Taj hatte eine derartige Überschwemmung der umliegenden Straßen schon oft erlebt. Das Hotel war auf einem gewaltigen Fundament aus Grausandstein- und Granitblöcken errichtet, und zu jedem der breiten Eingänge führten zehn Marmorstufen hinauf. In diesem Jahr stand das Wasser besonders hoch – es reichte bis zur zweitobersten Stufe –, und die Autos trieben hilflos dahin, drifteten zu der Mauer, die den gewaltigen Torbogen des Gateway of India umgab, und stießen aneinander. Wir lenkten das Boot zur Treppe am Haupteingang. Im Foyer und in den Eingängen wimmelte es von Menschen: reiche Geschäftsleute, die zusahen, wie ihre Limousinen gurgelnd im Regen davontrieben, Frauen in teurer indischer Kleidung oder ausländischen Designerkleidern, Schaupielerinnen und Politiker, modebewusste Söhne und Töchter.
Karla trat vor, als hätte sie mich bereits erwartet. Sie nahm meine Hand und ließ sich ins Boot helfen. Ich legte ihr das Ölzeug um und reichte ihr die Chauffeursmütze. Sie setzte sie auf und drehte den Schirm keck zur Seite, und wir fuhren los. Vinod beförderte uns in einem großen Bogen zum Gateway of India. Als wir in das gewaltige Gewölbe des Monuments einfuhren, begann er zu singen. Das Gateway hatte eine fantastische Akustik. Vinods Liebeslied hallte von den Mauern wider und brachte im Herzen aller, die ihn hörten, eine Saite zum Klingen.
Danach setzte er uns am Taxistand vor dem Radio Club Hotel ab. Ich stieg als Erster aus und wollte Karla behilflich sein, doch sie sprang alleine aus dem Boot, direkt in meine Arme. Und dort verweilte sie für einen Moment. Ihre grünen Augen wirkten unter dem Mützenschirm dunkler als sonst. In ihrem schwarzen Haar glitzerten Regentropfen, und ihr Atem duftete nach Zimt und Kümmel.
Wir lösten uns voneinander, und ich öffnete die Hintertür eines Taxis. Sie reichte mir das Ölzeug und die Mütze und setzte sich auf die Rückbank. Sie hatte kein Wort gesagt, seit ich sie mit dem Boot abgeholt hatte. Jetzt wandte sie sich an den Fahrer.
»Mahim«, sagte sie. »Challo!« Nach Mahim. Los.
Als das Taxi losfuhr, sah sie noch einmal zu mir herüber, und ich las eine Bitte oder eine Aufforderung in ihrem Blick, war mir aber nicht sicher, wie ich ihn deuten sollte. Ich schaute dem Taxi nach, als es losfuhr. Vinod und Shantu taten es mir gleich und klopften mir beide auf die Schulter. Wir hievten Vinods Boot wieder auf das Taxidach. Als ich mich neben Shantu setzte und den linken Arm durchs Fenster streckte, um das lange Boot auf dem Dach festzuhalten, fiel mein Blick auf ein Gesicht in der Menge. Es gehörte zu Rajan, dem Eunuchen, Madame Zhous Diener. Er starrte mich an, und sein von Hass und Bosheit verzerrtes Gesicht sah aus wie eine grausige Maske.
Während des gesamten Rückwegs zur Fischersiedlung verfolgte mich diese Miene, doch als wir das Boot abluden und Shantu die Einladung annahm, mit Vinod und mir zu Abend zu essen, verschwand das unangenehme Bild aus meinem Kopf. Ich bestellte bei einem Restaurant in der Nähe, und das Essen wurde uns in Metallbehältern dampfend heiß an den Strand gebracht. Wir platzierten die Behälter auf einem alten Stück Segeltuch im Schutz einer großen Plastikplane und ließen uns im Kreis nieder. Vinods Eltern, Frau und fünf Kinder saßen neben Shantu und mir. Es regnete immer noch, doch die Luft war warm, und eine leichte Brise von der Bucht
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