Shantaram
Männern, als wäre ich nicht da. »Macht ihn fertig. Schlagt ihn zusammen. Aber brecht ihm keine Knochen, wenn’s geht. Und dann werft ihr ihn zu den anderen ins Gefängnis.«
Ich ergriff die Flucht. Ich boxte mich durch den Kreis der Polizisten hindurch, erreichte mit einem Satz den Treppenabsatz am Eingang der Wachstube und rannte im nächsten Moment über den geschotterten Hof. Das war ein dummer Fehler, und nicht der letzte, den ich in den kommenden Monaten machen sollte. Fehler sind wie unglückliche Liebesbeziehungen, sagte Karla einmal, je mehr man daraus lernt, desto mehr wünscht man sich, man könnte sie ungeschehen machen. Mein Fehler in jener Nacht führte mich zum Hoftor, wo ich in einen Trupp Zusammengetriebener rannte und mit dem gesamten Knäuel hilfloser gefesselter Männer zu Boden ging.
Die Bullen schleiften mich wieder in die Wachstube, wobei sie mich unablässig mit Hieben und Tritten traktierten. Dort banden sie mir die Hände mit einem groben Hanfseil hinter dem Rücken zusammen, zogen mir die Stiefel aus und fesselten meine Füße. Der kleine fette Beamte vom Dienst zog ein aufgerolltes Seil hervor und befahl seinen Männern, mich damit von Kopf bis Fuß zu umwickeln. Schnaufend und keuchend vor Wut sah er zu, wie ich mit dem Seil eingewickelt wurde, bis ich einer ägyptischen Mumie ähnelte. Dann schleiften mich die Bullen in einen benachbarten Raum, wo sie mich hochhievten und in Brusthöhe mit dem Gesicht nach unten an einem Haken aufhängten, den sie durch mehrere der Seilschlingen auf meinem Rücken schoben.
»Flugzeug …«, knurrte der Dicke mit zusammengebissenen Zähnen.
Die Bullen drehten mich im Kreis, schneller und schneller. Mein Kopf hing herunter, auf derselben Höhe wie meine baumelnden Füße. Ich wirbelte im Kreis herum, bis ich das Raumgefühl vollständig verloren hatte. Und dann kamen die Schläge.
Zu fünft oder sechst prügelten sie so oft und brutal wie möglich auf meinen rotierenden Körper ein. Die Rohrstöcke sausten klatschend auf mich nieder. Die Hiebe hagelten auf mein Gesicht, meine Arme, Beine und Füße und verursachten selbst durch die Stricke hindurch stechende Schmerzen. Ich spürte, wie ich zu bluten begann. Schreie stiegen in mir auf, doch ich biss die Zähne zusammen und gab dem Schmerz keine Stimme. Diese Genugtuung gönnte ich ihnen nicht. Sie würden mich nicht schreien hören. Schweigen ist die Rache des Gefolterten. Hände griffen nach mir, bremsten meinen Körper ab, hielten ihn fest, während sich der Raum ringsum weiterdrehte. Dann drehten sie mich in die andere Richtung, und die Schläge gingen weiter.
Als sie ihren Spaß mit mir gehabt hatten, schleiften sie mich die metallene Treppe zum Zellentrakt hoch – dieselbe Treppe, die ich mit Prabaker hinaufgestiegen war, als ich versucht hatte, Kanos Bärenführern zu helfen. Ob irgendjemand kommt und mir hilft?, fragte ich mich. Niemand hatte meine Verhaftung auf der menschenleeren Straße beobachtet, niemand wusste, wo ich war. Falls Ulla zum Leopold’s kam und nicht doch in meine Festnahme verwickelt war, würde sie nicht wissen, dass man mich verhaftet hatte. Und Karla – was sollte sie anderes denken, als dass ich sie sitzen gelassen und mich aus dem Staub gemacht hatte, nachdem wir miteinander geschlafen hatten? Sie würde mich nicht suchen. Strafvollzugssysteme sind wie schwarze Löcher: Aus ihnen dringt kein Licht und keine Nachricht nach außen. Durch meine rätselhafte Festnahme war ich in einem der finstersten schwarzen Löcher dieser Stadt verschwunden. So unauffindbar, als hätte ich ein Flugzeug nach Afrika genommen.
Und warum hatte man mich verhaftet? Die Fragen schwirrten durch meinen Kopf. Wussten sie etwa, wer ich wirklich war? Aber selbst wenn sie es nicht wussten – wenn es hier um etwas anderes ging, wenn es nichts mit mir und meiner wahren Identität zu tun hatte –, würde man trotzdem Fragen stellen, Identifizierungsmaßnahmen einleiten, womöglich sogar Fingerabdrücke abgleichen. Meine Fingerabdrücke waren über Interpol weltweit registriert. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis meine wahre Identität ans Licht kommen würde. Ich musste jemandem eine Nachricht zukommen lassen – irgendjemandem. Wer konnte mir helfen? Wer war mächtig genug, um mir zu helfen? Khaderbhai. Lord Abdel Khader Khan. Mit all seinen Verbindungsmännern in der Stadt, vor allem aber in Colaba, würde er bestimmt herausfinden, dass ich verhaftet worden war. Früher oder später
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