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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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würde Khaderbhai es erfahren. Doch ich musste auch selbst versuchen, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen.
    Während ich, immer noch gefesselt wie eine Mumie, die harten Metallstufen hinaufgeschleift wurde und ein schmerzhafter Aufprall auf den nächsten folgte, konzentrierte ich meine Gedanken auf dieses Mantra,
    das ich im Rhythmus meines pochenden Herzens wiederholte: Ich muss Khaderbhai eine Nachricht schicken … Ich muss Khaderbhai eine Nachricht schicken …
    Als wir endlich auf dem oberen Treppenabsatz angelangt waren, stießen sie mich in den langen Gang des Zellentrakts. Der Dienstchef befahl einigen Gefangenen, mich von den Stricken zu befreien. Die Fäuste in die Hüften gestemmt, stand er im Eingang und sah ihnen dabei zu. Zwischendurch trat er mich zwei-, dreimal, damit sie schneller machten. Als sie das letzte Stück Seil gelöst und dem Wachmann meine Fesseln gereicht hatten, befahl er ihnen, mich hochzuheben und mich vor ihn zu stellen, sodass ich durch das offene Tor hinter ihm sehen konnte. Benommen spürte ich ihre Hände auf meiner tauben Haut, und als ich die Augen öffnete, sah ich durch Blutschlieren die Grimasse seines Lächelns.
    Er sagte etwas auf Marathi und spuckte mir dann ins Gesicht. Ich versuchte den Arm zu heben, um auf ihn einzuschlagen, doch die anderen Gefangenen hielten mich zurück. Der Griff ihrer Hände war sanft, aber entschieden. Sie halfen mir durch den Eingang der ersten offenen Zelle und ließen mich vorsichtig auf den Boden ab. Als ich aufblickte, sah ich direkt in das Gesicht des Polizisten, der gerade das Tor abschloss. Frei, aber treffend übersetzt, hatte er zu mir gesagt: Du bist am Arsch. Dein Leben ist vorbei.
    Ich sah, wie das stählerne Gittertor sich schloss, und merkte, wie die Kälte in mir hochkroch und mein Herz betäubte. Metall knallte auf Metall. Schlüssel klapperten und drehten sich im Schloss. Ich sah in die Augen der Männer ringsum, die toten und die wilden, die vorwurfsvollen und die verängstigten. Irgendwo tief in meinem Innern begann eine Trommel zu schlagen. Vielleicht war es mein Herz. Ich spürte, wie sich mein Körper anspannte und zusammenkrampfte wie eine Faust. Ein unangenehmer, bitterer Geschmack stieg mir in den Mund. Ich versuchte ihn hinunterzuschlucken, und dann erinnerte ich mich. Es war der Geschmack des Hasses – mein Hass, ihr Hass, der Hass der Wärter und der Welt dort draußen. Gefängnisse sind Tempel, in denen Teufel die Hetzjagd lernen. Wenn man den Schlüssel umdreht, dreht man auch das Schicksal um, denn in jeder Zelle, in die ein Mann eingesperrt wird, wartet der Hass.

Z WANZIGSTES K APITEL
     

    H inter dem Stahltor im ersten Stock des Zellentrakts der Polizeiwache von Colaba lagen vier große Zellen, durch einen Gang miteinander verbunden. Auf der einen Seite des Gangs befanden sich die Eingänge. Auf der anderen blickte man durch Maschendraht auf den viereckigen Hof. Im Erdgeschoss befanden sich weitere Zellen. Dort war Kano, der Bär, eingesperrt gewesen. Wer nur für ein oder zwei Nächte in Gewahrsam genommen wurde, saß im Erdgeschoss. Wer voraussichtlich eine Woche oder länger einsitzen würde, stieg die Treppe hinauf oder wurde wie ich hinaufgeschleppt und gelangte durch das stählerne Schiebetor in einen der Vorräume zur Hölle.
    Hinter dem Stahltor gab es keine Türen. Jeder der vier Räume hatte nur einen offenen Torbogen, etwas breiter als ein durchschnittlicher Hauseingang. Die Räume maßen rund drei Quadratmeter. Der Gang war etwa zwei Mann breit und circa sechzehn Meter lang. An seinem Ende befanden sich ein Urinal und eine Hocktoilette, beide ohne Türen. Über dem Urinal war ein Hahn angebracht, aus dem wir das Wasser zum Waschen und Trinken entnahmen.
    In den vier Räumen und dem Gang hätten vielleicht vierzig Personen untergebracht werden können. Als ich an meinem ersten Morgen erwachte, stellte ich fest, dass wir zweihundertundvierzig waren. Der Ort war ein Bienenkorb, ein Termitennest, ein wimmelnder Menschenhaufen, in dem man so dicht aufeinander hockte, dass man durch jede Bewegung noch dichter an die anderen gedrückt wurde. Auf der Toilette stand die Scheiße knöchelhoch. Das Urinal lief über. Stinkender Schlamm sickerte ins hintere Ende des Gangs. Die reglose, drückend schwüle Monsunluft war von Stöhnen und Gemurmel, von Klagen, Reden und Rufen erfüllt, und alle paar Stunden ertönte das Gebrüll irgendeines Mannes, der durchdrehte. Dort musste ich drei Wochen bleiben.
    Im ersten

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