Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
Vom Netzwerk:
der vier Räume, wo ich die erste Nacht zubrachte, waren nur fünfzehn Männer untergebracht. Er war am weitesten vom entsetzlichen Gestank der Toilette entfernt und sauber. Man hatte genug Platz, um sich hinzulegen. Die Männer dort waren alle reich – reich genug, um die Polizisten zu schmieren, damit sie jeden zusammenschlugen, der versuchte, sich ungeladen hineinzudrängen. Dieser Raum wurde das Taj Mahal genannt, und seine Bewohner waren die pandrah kumar, die fünfzehn Prinzen.
    Der zweite Raum beherbergte fünfundzwanzig Männer. Ich erfuhr, dass sie alle alte Hasen waren: Männer, die schon mindestens eine lange Haftstrafe abgesessen hatten und bereit waren, skrupellos zu kämpfen, um ihren Platz zu verteidigen. Ihre Zelle nannte man chor mahal, die Wohnstatt der Diebe, und die Männer dort hießen die kala topis, die Schwarzen Hüte – wie Ranjits Leprakranke –, weil die verurteilten Diebe im berüchtigten Arthur-Road-Gefängnis zusätzlich zu ihrer Sträflingskleidung einen schwarzen Hut tragen mussten.
    Im dritten Raum waren vierzig Männer zusammengepfercht, die Schulter an Schulter entlang den Wänden saßen und sich abwechselnd auf der kleinen freien Fläche in der Mitte des Raums ausstreckten. Sie waren nicht so harte Burschen wie die in der zweiten Zelle, aber stolz und entschlossen. Sie erhoben Besitzanspruch auf das kleine Fleckchen, auf dem sie saßen, und verteidigten es mit Zähnen und Klauen gegen die Forderungen von Neuankömmlingen. Diese Männer lebten in ständiger Anspannung, denn jeden Tag verlor mindestens einer bei einem Kampf seinen Platz an einen neuen, härteren Typen. Die bestmögliche Belegungszahl für den dritten Raum lag bei vierzig, und da sie tatsächlich nur selten höher war, nannte man ihn den chaaliss mahal, die Wohnstatt der Vierzig.
    Der vierte Raum hieß im Gefängnis-Slang der dukh mahal, die Wohnstatt der Leidenden, doch viele der Männer benutzten lieber den Namen, den die Polizei von Colaba dieser letzten der vier Zellen gegeben hatte: Ermittlungsraum. Wenn ein Neuer zum ersten Mal durch das Stahltor in den Gang trat, versuchte er möglicherweise im ersten Raum sein Glück. Alle fünfzehn Männer in diesem Raum und etliche ihrer Lakaien im Gang waren dann unmittelbar zur Stelle und stießen ihn unter Drohungen und Geschrei weg: Nächste Zelle! Nächste Zelle, du Mistkerl! Im Gedränge der sich windenden Leiber vorwärtsgetrieben, versuchte der Mann nun womöglich, den zweiten Raum zu betreten. Wenn ihn dort keiner kannte, bekam er von dem, der gerade an der Türöffnung stand, eins übergezogen. Nächste Zelle, Arschloch! Versuchte der mittlerweile massiv verunsicherte Mann, der durch das Gewühl immer weitergeschoben wurde, den dritten Raum zu betreten, wurde er von den zwei oder drei Männern, die im Eingang saßen oder standen, geboxt und getreten. Nächste Zelle! Nächste Zelle, Arschloch! Wenn er schließlich bis zur vierten Zelle, dem Ermittlungsraum, gedrängt worden war, begrüßten die Insassen ihn dort wie einen alten Freund. Komm doch rein, Freund! Komm nur herein, Bruder!
    Wer so dumm war hineinzugehen, wurde von den fünfzig oder sechzig Männern, die sich in dem schwarzen, stinkenden Raum zusammendrängten, verprügelt und ausgezogen. Seine Kleider wurden dann nach einer Warteliste, die sich sorgfältig nach der Hackordnung richtete, verteilt. Seine Körperöffnungen wurden gründlich nach Schmuck, Drogen und Geld durchsucht. Sämtliche Wertsachen gingen an den König des Ermittlungsraums. Während meiner drei Wochen im Gefängnis von Colaba war dieser König ein riesiger halsloser Gorilla von einem Mann, dessen Haaransatz kaum einen Daumenbreit über seinen zusammengewachsenen, buschigen Augenbrauen saß. Der Neue bekam dreckige Lumpen zum Anziehen – die ausrangierten Fetzen derer, denen man vor ihm die Kleider gestohlen und dafür die Lumpen gegeben hatte. Er hatte nun zwei Möglichkeiten: den Raum zu verlassen und sich unter den hundert Männern, die den völlig überfüllten Gang bevölkerten, allein durchzuschlagen, oder sich der Ermittlungsraum-Bande anzuschließen und auf die nächsten glücklosen Neuankömmlinge zu lauern, um sie, wie alle anderen vor ihm selbst, auszuplündern. Soweit ich es in diesen drei Wochen mitbekommen habe, wählte etwa jeder fünfte der Männer, die im letzten Raum malträtiert und enteignet worden waren, die zweite Möglichkeit.
    Selbst im Gang gab es eine eigene Hackordnung, Kämpfe um einen Fußbreit Platz und

Weitere Kostenlose Bücher