Shantaram
Bruder! Aber hey, ist das kein Problem. Tun sie dir nichts. Beißen sie nicht wie die Kadmals. Fallen sie einfach runter und sterben in kalter Luft, siehst du? Kämpfen die anderen Burschen hier, um Wasser mit nicht viele Würmern drin zu kriegen. Warten wir, dann, Bruder, kriegen wir viele Würmer, aber auch viel Wasser. Ist besser doch, nein? Komm. Challo! Wenn du noch willst waschen vor morgen früh, musst du nehmen jetzt dieses Wasser. Ist es so, Bruder. Dürfen wir uns nicht waschen im Schlafsaal. Nur die Aufseher. Haben sie gestern Abend dir erlaubt, dass du dich da waschst, weil du so voller Blut warst. Aber wirst du diesen Waschplatz nie wieder benutzen. Die Toilette drinnen benutzen wir, aber waschen, nein, tun wir uns da nicht. Das ist dein einziges Waschen hier, Bruder.«
Ich hielt den Teller unter das immer dünner werdende Rinnsal und kippte mir dann die Masse wimmelnder Würmer über Brust und Rücken, so wie Mahesh es getan hatte. Wie alle Inder, die ich kannte, trug ich Shorts – die ÜberUnterhose, wie Prabaker sie genannt hatte – unter meiner Jeans. Ich zog die Jeans aus und beförderte die nächste Ladung sich windender Würmer vorne in meine Shorts. Als die Aufseher anfingen, mit ihren Stöcken auf uns einzuschlagen, um uns wieder in den Schlafsaal zurückzutreiben, war ich jedenfalls so weit gesäubert, wie man es ohne Seife und mit wurmhaltigem Wasser werden kann.
Im Schlafsaal mussten wir, in der Hocke sitzend, eine geschlagene Stunde warten, bis die Aufseher uns, wie jeden Morgen, abgezählt hatten. Nach einer Weile verursachte diese Haltung unerträgliche Schmerzen in den Beinen. Doch sobald jemand versuchte, die Beine auszustrecken oder aufzustehen, bekam er von einem der Aufseher einen brutalen Hieb. Ich rührte mich nicht vom Fleck. Ich gönnte ihnen die Genugtuung nicht, zu sehen, wie ich dem Schmerz nachgab. Doch als ich schweißüberströmt die Augen schloss, um mich besser konzentrieren zu können, schlug mich einer von ihnen einfach so, ohne Grund oder Anlass. Ich machte Anstalten aufzustehen, spürte jedoch wiederum Maheshs Hände auf mir. Er hielt mich zurück und bedeutete mir, mich nicht zu wehren. Doch als mich im Laufe einer Viertelstunde ein zweiter, dritter und schließlich ein vierter Hieb ins Gesicht traf, rastete ich aus.
»Komm her, du verdammter Feigling!«, schrie ich, sprang auf und zeigte auf den letzten Mann, der mich geschlagen hatte. Der Aufseher, ein riesiger, feister Kerl, den Freund und Feind nur unter dem Namen Big Rahul kannten, überragte die meisten anderen Männer im Raum. »Ich ramm dir deinen verdammten Stock so tief in den Arsch, dass er dir zu den Augen wieder rauskommt!«
Eine Stille trat ein, die jedes Geräusch verschluckte. Keiner rührte sich. Big Rahul glotzte mich an, und seine amüsiert-herablassende Miene brachte mich noch mehr in Rage. Die Gefangenenaufseher traten nach und nach zu ihm, um ihm zur Seite zu stehen.
»Komm doch her!«, rief ich auf Hindi. »Na komm schon, du großer Held! Los! Ich bin so weit!«
Plötzlich sprangen Mahesh und fünf oder sechs andere Gefangene auf, hängten sich an mich und versuchten, mich wieder in die Hocke herunterzuziehen.
»Bitte, Lin!«, zischte Mahesh. »Bitte, Bruder, bitte! Setzt du dich wieder. Bitte! Weiß ich, was ich sage. Bitte. Bitte!«
Während sie an meinen Armen und Schultern zerrten, tauschten Big Rahul und ich einen jener Blicke, die dem anderen offenbaren, wie viel Gewaltbereitschaft in seinem Gegner steckt. Da verschwand sein überhebliches Grinsen, und seine bebenden Lider signalisierten seine Niederlage. Er wusste es, und ich wusste es auch. Er hatte Angst vor mir. Ich ließ zu, dass die Männer mich in die Hocke hinunterzogen. Er drehte sich auf dem Absatz um und schlug reflexartig auf den nächsten Mann ein, der in meiner Reihe hockte. Die Anspannung im Raum ließ nach, und das Abzählen ging weiter.
Unser Frühstück bestand aus einem einzigen großen Chapatti pro Person. Wir kauten das Brot während der fünf dafür vorgesehenen Minuten und tranken Wasser dazu, dann ließen uns die Aufseher hinausmarschieren. Wir durchquerten mehrere makellos saubere Innenhöfe. Auf einem breiten Weg zwischen abgezäunten Bereichen zwangen uns die Aufseher, in der Morgensonne zu warten, bis wir den Kopf rasiert bekamen, wiederum hockend. Die Holzschemel der Friseure standen im Schatten eines hohen Baums. Der erste Friseur schnitt jedem neuen Gefangenen die Haare kurz, der zweite schor ihm
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