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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Ich schaute auf die Haare des nächsten Mannes. Auch sie wimmelten von weißen Läusen. Jetzt wusste ich, woher dieses Jucken an Kopf und Körper kam. Ich wandte mich zu Mahesh um. In seinen Haaren tummelten sich scharenweise Läuse. Ich fuhr mir durch mein eigenes Haar und betrachtete meine Hand – da waren sie, weiß wie Filzläuse und zu viele, als dass ich sie hätte zählen können.
    Kleiderläuse. Die Decken, die man uns als Schlafunterlage aufgezwungen hatte, waren mit ihnen verseucht. Plötzlich wurde das Jucken zum kriechenden Albtraum, und ich kapierte, dass ich das widerliche Ungeziefer am ganzen Körper hatte. Als man mir den Kopf geschoren hatte und wir zum Schlafsaal zurückgingen, erklärte mir Mahesh, was ich über die sheppesh, die Kleiderläuse, wissen musste.
    »Sheppesh sind das scheiße schlimm, Bruder. Sind sie überall, diese Scheißdinger. Haben die Aufseher deshalb eigene Decken und schlafen auf die andere Raumseite. Dort sheppesh sind nicht. Komm, Lin, schau, zeig ich dir, was du tun musst.«
    Er zog sein T-Shirt aus und drehte es nach links. Dann fasste er es am Halsausschnitt und bog die gerippte Naht etwas um, sodass man die sheppesh in der Falte krabbeln sah.
    »Sind sie scheißeschlecht zu sehen, Bruder, aber fühlen kannst du sie ohne Probleme, was, yaar ? Keine Sorge. Kriegst du sie leicht tot. Zerquetschst du die Scheißdinger einfach zwischen die Daumennägel, guck, so.«
    Ich sah zu, wie er sich entlang des Halsausschnitts vorarbeitete und eine Laus nach der anderen tötete. Als Nächstes widmete er sich den Ärmelnähten und schließlich dem Saum. Es waren Unmengen von Läusen, und er zerdrückte jede einzelne fachmännisch zwischen den Daumennägeln.
    »Ist das T-Shirt sauber jetzt«, sagte er schließlich, faltete es in sicherem Abstand von seinem Körper sorgsam zusammen und legte es auf den Steinfußboden. »Keine sheppesh mehr. So, wickelst du dich dann in das Handtuch, so, ziehst du die Hose aus und tötest die Läuse in deiner Hose. Wenn ist sie sauber, du legst die Hose zum T-Shirt. Kommt jetzt der Körper dran – unter den Armen, der Arsch, die Eier. Wenn sauber sind deine Kleider und dein Körper auch, du ziehst dich wieder an. Dann du hast Ruhe, nicht mehr so viele sheppesh, bis zum Abend. Und dann du kriegst wieder ganz viele neue sheppesh von deiner Decke. Und ohne die Decke schlafen geht nicht, denn wenn du versuchst, kriegst Prügel du von den Aufsehern. Kommst du nicht drumherum. Und geht morgen das Ganze wieder von vorne los. Sagen wir dazu das Lausernte, und hier in der Arthur Road wir ernten jeden Tag.«
    Ich blickte mich in dem offenen, regennassen Hof neben dem langen Gebäude des Schlafsaals um und sah über hundert Männer, die mit der Lausernte beschäftigt waren – sie pickten die Läuse aus ihrer Kleidung und killten sie systematisch. Einige Männer scherten sich nicht darum. Sie kratzten und schüttelten sich wie Hunde und ließen zu, dass die Läuse sich auf ihnen vermehrten. Mich machte das Jucken und Krabbeln auf meiner Haut völlig verrückt. Ich riss mir das Hemd vom Leib und inspizierte die Naht am Kragen. Dort wimmelte es nur so von krabbelnden und kriechenden, sich vermehrenden Läusen. Ich begann, sie eine nach der anderen zu zerdrücken, Naht für Naht. Diese Aufgabe nahm mehrere Stunden in Anspruch, und ich wiederholte sie an jedem einzelnen Morgen, den ich im Arthur-Road-Gefängnis verbrachte, mit fanatischer Gründlichkeit. Trotzdem fühlte ich mich nie richtig sauber. Selbst wenn ich wusste, dass ich die Läuse getötet und mich vorübergehend von ihnen befreit hatte, spürte ich immer noch ihr widerwärtiges Jucken, Kribbeln und Krabbeln auf der Haut. Und im Laufe der Monate brachte mich der Ekel vor dieser widerlichen, wimmelnden Plage langsam, aber stetig an den Rand des Wahnsinns.
    Den ganzen Tag über, vom frühmorgendlichen Abzählen bis zum Abendessen, hielten wir uns in dem großen Hof neben unserem Schlafsaal auf. Einige Männer spielten Karten oder sonstige Spiele. Andere unterhielten sich mit ihren Freunden oder versuchten, auf den gepflasterten Wegen zu schlafen. Nicht wenige schlurften auf ihren dünnen, wackeligen Beinen zuckend und unsicher umher, führten wirre Selbstgespräche und taumelten gegen irgendeine Wand, bis wir sie sanft in eine andere Richtung lenkten.
    Im Arthur-Road-Gefängnis bestand das Mittagessen aus einer wässerigen Suppe, die in unsere flachen Aluminiumteller geschöpft wurde. Zum Abendessen

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