Shantaram
Reihen dicht nebeneinander in die Hocke zu gehen. Vor unseren Augen wurden die beiden jungen Männer, die versucht hatten, mir zu helfen, hereingeschleift und an der Wand fallen gelassen. Sie waren halb ohnmächtig. Man hatte sie übel zusammengeschlagen. Aus Wunden in ihren Gesichtern sickerte Blut. Ihre Münder waren geschwollen und ihre Augen blauschwarz verfärbt. Ungezählte Schläge mit dem Lathi hatten ihre nackten Arme und Beine mit einem Schlangenhautmuster bedeckt.
»Diese Hunde haben versucht, für den Gora eine Nachricht aus dem Gefängnis zu schmuggeln«, brüllte Big Rahul, der Aufseher, auf Hindi. »Und wer versucht, dem Gora zu helfen, dem wird genau dasselbe passieren. Ist das klar? Diese beiden Hunde kriegen jetzt nochmal ein halbes Jahr, und zwar in meiner Zelle. Ein halbes Jahr, kapiert? Und wenn einer von euch dem Gora hilft, kriegt er das Gleiche.«
Die Aufseher verließen den Raum, um eine zu rauchen, und wir eilten zu den Männern, um ihnen zu helfen. Ich reinigte ihre Wunden und verband die schlimmsten mit Stoffstreifen. Mahesh half mir, und als wir fertig waren, nahm er mich auf ein Beedie mit nach draußen.
»Ist es nicht deine Schuld, Lin«, sagte er, den Blick in den Hof gerichtet, wo Männer umhergingen, einfach nur dasaßen oder Läuse aus ihrer Kleidung pulten.
»Natürlich ist es meine Schuld.«
»Nein, Mann«, widersprach er leidenschaftlich. »Ist es dieser Ort, Arthur Road. Diese Geschichte gerade, passiert so was hier ständig. Ist es nicht deine Schuld, Bruder, und auch nicht meine. Aber hast du jetzt ein richtig echtes Problem. Wird dir keiner hier mehr helfen – wie im Knast von Colaba. Hab ich keine Ahnung, wie lang du hierbleiben musst. Du siehst den alten Pandu, da drüben? Ist er schon drei Jahre hier und kriegt immer noch keine Verhandlung. Ist Ajay mehr als ein Jahr hier. Santosh seit zwei Jahren, ohne Anklage, und weiß er nicht, wann er vor Gericht kommt. Ich … weiß ich nicht, wie lang du in diese Zelle bleiben wirst. Und tut es mir leid, Bruder, aber wird dir jetzt keiner mehr helfen.«
Die Wochen verstrichen, und es zeigte sich, dass Mahesh recht hatte – niemand riskierte den Zorn der Aufseher und half mir. Jede Woche wurden Männer entlassen, und ich wandte mich an viele von ihnen, so vorsichtig wie möglich, doch keiner wollte mir helfen. Allmählich war meine Lage wirklich verzweifelt. Nach zwei Monaten im Gefängnis hatte ich meiner Schätzung nach etwa zwölf Kilo abgenommen und sah abgemagert aus. Mein Körper war mit eitrigen kleinen Kadmal-Bisswunden bedeckt. Auf Armen, Beinen, Rücken, Gesicht und meinem kahl geschorenen Schädel hatte ich Blutergüsse von den Rohrstöcken der Aufseher. Und dazu sorgte ich mich ständig, Minute um Minute, Tag und Nacht, dass der Abgleich meiner Fingerabdrücke ans Licht bringen würde, wer ich wirklich war. Fast jede Nacht bescherte mir diese Sorge einen schweißtreibenden Albtraum von der langjährigen Haftstrafe, der ich in Australien entflohen war. Die Sorge nistete sich in meiner Brust ein, drückte mir aufs Herz und wuchs zu einer so grotesken Angst an, dass ich meinte, an ihr ersticken zu müssen. Schuldgefühle bilden den Griff des Messers, das wir gegen uns selbst richten, und oft ist die Liebe seine Klinge; doch es sind die Sorgen, die das Messer schärfen, und diesen Sorgen erliegen die Meisten von uns irgendwann.
Meine Frustration, meine Angst, die Sorgen und Schmerzen erreichten ihren Höhepunkt, als Big Rahul, der Aufseher, der mich zur Zielscheibe all des aufgestauten Hasses und der Gemeinheiten auserkoren hatte, die er in seinen zwölf Gefängnisjahren am eigenen Leib hatte erfahren müssen, mich einmal zu viel schlug. Ich saß neben dem Eingang des leeren Schlafsaals und versuchte, eine Kurzgeschichte zu Papier zu bringen, die im Laufe der vergangenen Wochen in meinem Kopf Form angenommen hatte. Ich hatte die ausformulierten Sätze Tag für Tag im Geiste wiederholt und die Geschichte weitergesponnen. Es war eine der Meditationen, die mich bei Verstand hielten. Als es mir an diesem Morgen gelang, an einen Bleistiftstummel und ein paar Einwickelpapiere von Zuckerrationen heranzukommen, war ich endlich so weit, dass ich die erste Seite der Geschichte aufschreiben konnte. In einem ruhigen Moment nach vollendeter Lausernte begann ich zu schreiben. Mit der Verstohlenheit, zu der das Böse selbst grobe, plumpe Menschen befähigt, schlich sich Rahul hinter mir an und schmetterte mir seinen Lathi mit
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