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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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dann ein paar andere Bullen auf dich ansetzen, die dich verhaftet und nach Australien zurückgeschickt hätten. Aber das haben sie nicht gemacht, und ich sage dir: Das werden sie auch nicht machen, weil du ihr Herz angerührt hast, Mann, ihr scheiß indisches Herz. Sie haben gesehen, was du hier alles gemacht hast und dass die Leute aus dem Slum dich wirklich lieben, und dann haben sie sich gedacht: Na ja, in Australien hat er Scheiße gebaut, aber hier hat er ein paar gute Sachen gemacht. Wenn er bezahlt, lassen wir den Scheißkerl laufen. Und zwar, weil sie Inder sind, Mann. So halten wir dieses verrückte Land zusammen – mit dem Herzen. Zweihundert verschiedene Sprachen, Mann, und eine Milliarde Menschen. Indien ist das Herz, und das hält uns zusammen. Solche Menschen wie hier gibt es nirgendwo sonst, Lin. Das indische Herz ist einzigartig.«
    Er weinte. Verblüfft sah ich ihm zu, wie er sich die Tränen aus den Augen wischte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Er hatte natürlich recht. Ich war zwar in einem indischen Gefängnis gefoltert und beinahe umgebracht worden, aber dann hatte man mich tatsächlich freigelassen und mir meinen alten Pass zurückgegeben. Gibt es noch ein anderes Land auf dieser Welt, fragte ich mich, wo sie mich auch einfach hätten gehen lassen? So wie hier, in Indien? Andererseits wusste ich aber auch: Selbst hier, in diesem Land der großen Herzen, hätten sie mich ohne mit der Wimper zu zucken nach Australien zurückgeschickt und das Geld trotzdem angenommen, wenn sie bei ihren Nachforschungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären. Wenn sie herausgefunden hätten, dass ich Inder betrog, zum Beispiel, oder dass ich indische Prostituierte für mich arbeiten ließ oder wehrlose Menschen zusammenschlug. Indien war wirklich das Land, wo das Herz regierte. Ich wusste das von Prabaker, von seiner Mutter, von Qasim Ali, von Josephs Buße. Sogar im Gefängnis hatte ich es erlebt, wo Männer wie Mahesh Malhotra sich prügeln ließen, damit sie mir Essen zustecken konnten, als ich am Verhungern war.
    »Was ist denn hier los? Doch nicht etwa ein Streit zwischen zwei Turteltäubchen?«, fragte Didier und setzte sich unaufgefordert zu uns.
    »Ach, leck mich doch, Didier!«, antwortete Vikram lachend, wieder gefasster.
    »Ein rührendes Angebot, Vikram. Aber vielleicht warten wir damit, bis du dich wieder besser fühlst. Und du, Lin, wie geht’s dir so?«
    »Prima.« Ich lächelte. Didier war einer von den drei Menschen, die in Tränen ausgebrochen waren, als sie mich, abgemagert bis auf die Knochen und von Schnitten und Wunden verunstaltet, kurz nach meiner Entlassung aus dem Arthur-Road-Gefängnis gesehen hatten. Der zweite war Prabaker, der so heftig geweint hatte, dass ich ihn eine geschlagene Stunde lang trösten musste. Der dritte war überraschenderweise Lord Abdel Khader Khan gewesen, dessen Augen sich mit Tränen füllten, als ich ihm dankte, Tränen, die mir auf Hals und Schulter tropften, als ermich an sich drückte.
    »Was darf ich dir bestellen?«, fragte ich Didier.
    »Oh, das ist aber nett«, schnurrte er erfreut. »Ich glaube, ich fange mit einer Flasche Whisky, frischer Limone und einem kalten Mineralwasser an. Ja. Doch, das scheint mir ein gutes commençement zu sein. Sehr seltsam, übrigens, und eine sehr unglückliche Geschichte, diese Sache mit Indira Gandhi, findet ihr nicht auch?«
    »Was für eine Sache?«, fragte Vikram.
    »In allen Nachrichtensendungen wird gemeldet, dass Indira Gandhi tot ist.«
    »Stimmt das?«, wollte ich wissen.
    »Ich fürchte, ja«, seufzte er ungewohnt ernst. »Es ist noch nicht offiziell bestätigt worden, aber ich glaube, es besteht kein Zweifel.«
    »Waren es die Sikhs? Wegen Bluestar?«
    »Ja, Lin. Woher weißt du das?«
    »Als sie den Goldenen Tempel hat stürmen lassen, um Bhindranwale zu kriegen, hatte ich irgendwie das Gefühl, dass man ihr das heimzahlen würde.«
    »Was ist denn passiert? War es die KLF, die Khalistan Liberation Front?«, fragte Vikram. »Haben sie eine Bombe gelegt?«
    »Nein«, erwiderte Didier ernst. »Angeblich waren es ihre Leibwächter – ihre Sikh-Leibwächter.«
    »Heilige Scheiße – ihre eigenen Leibwächter!«, ächzte Vikram. Sein Mund stand offen, und sein Blick verschleierte sich. »Ich bin gleich wieder da, Jungs. Hört ihr das? Auf der Theke drüben ist ein Radio, da berichten sie darüber. Ich geh mal kurz hin.«
    Er eilte zur Theke, wo fünfzehn oder zwanzig Männer eng beieinanderstanden,

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