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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hatten als meinem Körper. Und die Scham, die ich noch immer empfand, weil meine Nachbarin Radha und die zwei Jungen aus meinem Englischunterricht an der Cholera gestorben waren, ließ mich nicht los. Die Folter im Gefängnis und meine Versäumnisse während der Cholera-Epidemie hätte ich bewältigen und danach wieder an diesen Ort des Elends und Liebe zurückkehren können, sobald ich wiederhergestellt war. Doch beides zusammen war zu viel für mein angegriffenes Selbstwertgefühl. Ich konnte nicht einmal eine einzige Nacht im Slum verbringen, geschweige denn wieder dort einziehen.
    Ich besuchte Prabaker, Johnny, Qasim und Jeetendra häufig und kümmerte mich weiterhin um die Praxis, indem ich an zwei Nachmittagen pro Woche Sprechstunde abhielt. Doch die seltsame Mischung aus Überheblichkeit und Unbefangenheit, die es mir ermöglicht hatte, die Rolle des Slumarztes zu übernehmen, war mir verloren gegangen, und ich rechnete nicht damit, dass sie sich jemals wieder einfinden würde. Ein wenig Überheblichkeit existiert im Herzen jedes Menschen, der sich bemüht, gut zu sein. Diese Überheblichkeit war verschwunden, seit es mir nicht gelungen war, das Leben meiner Nachbarin zu retten – weil ich nicht einmal von ihrer Krankheit gewusst hatte. Und eine reine und klare Unschuld bildet den Kern des Impulses, anderen Menschen helfen zu wollen. Diese Unschuld hatte Schaden genommen, als ich aus dem indischen Gefängnis herausstolperte: Mein Lächeln war von der Erinnerung an die Fußeisen ebenso behindert wie meine Schritte. Dass ich nicht mehr im Slum wohnte, hatte mehr mit dem Zustand meiner Seele als mit den Wunden an meinem Körper zu tun.
    Meine Freunde aus dem Slum akzeptierten meine Entscheidung ohne Fragen und Bemerkungen. Wenn ich zu Besuch kam, begrüßten sie mich herzlich und bezogen mich genauso wie früher in ihren Alltag und in ihre Feste ein – Hochzeiten, religiöse Feiern, Versammlungen und Kricketspiele. Und sie brachten das Gefängnis nie zur Sprache, obwohl sie entsetzt und erschüttert waren, als sie meinen ausgemergelten Körper und die Narben sahen, mit denen die Aufseher meine Haut gezeichnet hatten. Einerseits verhielten sie sich wohl aus Rücksicht so, weil sie glaubten, dass ich ebenso viel Scham empfand, wie sie es getan hätten, wenn sie im Gefängnis gesessen hätten. Andererseits fühlten sich zumindest Prabaker, Johnny Cigar und vielleicht auch Qasim Ali womöglich auch schuldig, weil sie mir nicht hatten helfen können – und zwar deshalb, weil sie gar nicht auf die Idee gekommen waren, nach mir zu suchen. Niemand hatte gewusst oder auch nur vermutet, dass ich im Gefängnis saß. Sie hatten einfach angenommen, dass ich des Slumlebens überdrüssig geworden und in mein bequemes Leben in meinem bequemen Land zurückgekehrt war, wie jeder Tourist oder Reisende, dem sie begegnet waren.
    Auch dies trug sein Teil dazu bei, dass ich nicht wieder in den Slum zurückziehen wollte. Es erstaunte und kränkte mich, dass sie nach allem, was ich für sie getan hatte, und obwohl sie selbst mich in das faserige Gewirk ihrer allzu zahlreichen Leben einbezogen hatten, noch glauben konnten, ich würde einfach aus einer Laune heraus ohne ein Wort des Abschieds verschwinden.
    Deshalb zog ich nicht wieder in den Slum, als ich mich erholt hatte und ich richtig Geld zu verdienen begann, sondern mietete mir mit Khaderbhais Hilfe eine Wohnung in Colaba, am landwärts gelegenen Ende der Best Street, nicht weit vom Leopold’s entfernt. Es war meine erste Wohnung in Indien, und ich kam zum ersten Mal hier in den Genuss von ausreichend Platz, einer Privatsphäre und häuslichem Luxus wie einer heißen Dusche und einer funktionstüchtigen Küche. Ich aß gut, bereitete mir Mahlzeiten mit hohem Kohlehydrat- und Eiweißgehalt zu und zwang mich, jeden Tag eine Familienpackung Eis zu vertilgen, wodurch ich wieder Gewicht zulegte. Ich schlief zehn Stunden pro Nacht, kurierte meinen malträtierten Körper durch die Heilkraft des Schlafes. Doch immer wieder erwachte ich, wild um mich schlagend, aus Albträumen, mit dem feucht-metallischen Geruch von Blut in der Nase.
    Mit Abdullah ging ich zum Karatetraining und Gewichtheben in seinem Lieblingsstudio im trendigen Vorort Breach Candy. Zwei andere junge Gangster – Salman Mustaan und sein Freund Sanjay, die ich bei meinem ersten Besuch in Khaderbhais Rat kennen gelernt hatte – gesellten sich oft zu uns. Die beiden waren kräftige, gesunde Männer Ende zwanzig, die am

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