Shantaram
warten. Der Abend ist die Anstandsdame für junge Liebende: eine letzte Stunde Helligkeit, bevor die Nacht anbricht und dem gemächlichen Schlendern der Liebenden seine Unschuld raubt. Zu keiner anderen Zeit, weder tags noch nachts, sind mehr Menschen auf Bombays Straßen unterwegs als am frühen Abend, und kein anderes Licht schmeichelt dem menschlichen Gesicht so sehr wie das Abendlicht in meinem Mumbai.
Ich wanderte durch das abendliche Getümmel und freute mich an den Gesichtern, am mannigfaltigen Duft von Haut und Haaren, an den Farben der Kleider, am Klang und dem Rhythmus der Gespräche um mich herum. Doch ich war alleine – zu allein mit meiner Freude über den Abend in der Stadt. Außerdem zog ein schwarzer Hai langsam seine Kreise im Meer meiner Gedanken, ein schwarzer Hai des Zweifels, des Zorns und des Argwohns. Eine Frau hatte mich verraten. Eine Frau. Eine junge und sehr schöne Frau …
Ein hartnäckiges Hupen riss mich aus meinen Gedanken, und ich sah Prabaker, der mir aus seinem Taxi zuwinkte. Ich stieg ein und bat ihn, mich zu meinem allabendlichen Treffen mit Khaled in der Nähe des Chowpatty Beach zu fahren. Mit meinen ersten üppigeren Einkünften aus meiner Arbeit für Khaderbhai hatte ich Prabaker eine Taxilizenz gekauft. Für Prabaker war sie immer unerschwinglich gewesen, und sein eher unterentwickeltes Talent zum Sparen hatte ihm auch nicht weitergeholfen. Ab und zu hatte er auch ohne Lizenz eine Schicht im Taxi seines Cousins eingelegt, doch das war immer riskant gewesen. Mit einer eigenen Lizenz konnte er jetzt zu jedem x-beliebigen Taximagnaten gehen, der die Fahrzeuge seiner Flotte an Fahrer mit Lizenz vermietete.
Prabaker arbeitete hart und war eine ehrliche Haut, aber vor allem war er für die meisten Leute der netteste Mensch, dem sie je begegnet waren. Selbst die abgebrühten Taxibosse waren gegen seinen heiteren Charme nicht gefeit. Binnen eines Monats hatte man ihm ein Taxi mehr oder weniger dauerhaft vermietet, und er pflegte es, als wäre es sein eigenes. Auf dem Armaturenbrett hatte er einen kleinen Plastikschrein für Lakshmi, die Göttin des Reichtums, montiert. Die Plastikfigur in Rosa, Gold und Grün schaute jedes Mal, wenn er auf die Bremse trat, erschreckend grimmig aus ihren rot leuchtenden Augen. Ab und zu packte er mit effekthascherischer, schwungvoller Geste eine kleine Pumpe am Fuß der Figur und drückte sie fest. Durch ein Ventil im Nabel wurde dann eine penetrant und beängstigend chemisch riechende künstliche Duftmischung auf Hemd und Hose des Fahrgasts gesprüht. Und sobald er jemanden erfolgreich angesprüht hatte, polierte Prabaker unwillkürlich seine Taxifahrerplakette aus Messing, die er mit großem Stolz zur Schau trug. Es gab in der ganzen Stadt nur ein Objekt seiner Zuneigung, das es mit dem schwarzgelben Fiat-Taxi aufnehmen konnte.
»Parvati. Parvati. Parvati …«, sagte er vor sich hin, während wir an der Churchgate Station vorbei Richtung Marine Drive fuhren. Er war berauscht vom Wohlklang ihres Namens. »Lieb ich sie viel sehr zu viel, Lin! Ist das doch die Liebe, oder, wenn du bist glücklich von ein schrecklich Gefühl? Wenn du machst Sorge um eine Mädchen, noch viel schlimm mehr als um dein Taxi? Ist das eine Liebe, oder? Eine große Liebe, nicht wahr? Mein Gott! Parvati. Parvati. Parvati …«
»Das ist Liebe, Prabu.«
»Und Johnny, hat er zu viel Liebe für Sita, meiner Parvati ihr Schwester. Zu viel viel von Liebe.«
»Ich freue mich für dich, Prabu. Und für Johnny auch. Er ist ein guter Mann. Ihr seid beide gute Männer.«
»Oh ja!«, stimmte Prabaker mir zu und klatschte zur Bekräftigung ein paar Mal auf die Hupe. »Sind wir prima Burschen! Und heute Nacht, Lin, wir haben dreifach Rendezvous mit die Schwester. Wird das so viel große prima Spaß!«
»Gibt es noch eine Schwester?«
»Noch eine?«
»Meinst du nicht eher ein Doppelrendezvous?«
»Nein, Lin. Parvati und Sita, bringen die doch immer ihr Mama mit, die Frau von Kumar, die Frau Patak. Sitzen sie die Mädchen auf die eine Seite und sitzt die Frau Nandita Patak in die Mitte, und Johnny Cigar, der ist er bei mir, auf die andere Seite. Ist das dreifach Rendezvous.«
»Das klingt wirklich nach ziemlich viel … äh … Spaß.«
»Ja, so viel Spaß! Natürlich Spaß! Zu viel fast Spaß! Und wenn wir sie geben, die Frau Patak, zu essen und zu trinken, dann können wir sie angucken, die Mädchen, und die Mädchen, können die uns auch angucken. Ist das der unser Trick.
Weitere Kostenlose Bücher