Shantaram
der kleinen Goldwerkstatt in der Nähe des Reisebüros nach ihm.
Madjid blickte mit einem Lächeln auf, als ich die Werkstatt betrat, und konzentrierte sich dann wieder auf die Waage. Nach Güteklassen sortierte Ketten und Armreifen wurden erst einzeln und dann partienweise gewogen. Die Ergebnisse trug Madjid in ein Kontenbuch ein, das er mit den Einträgen in dem Debitorenbuch abglich, das er für die Verkäufe im Zhaveri Bazaar führte.
Als ich an diesem Tag, keine zwei Stunden nachdem Khaderbhai mit mir über Gut und Böse gesprochen hatte, zusah, wie Berge von Goldketten und schweren, selbstgemachten Armreifen gewogen und katalogisiert wurden, spürte ich, wie sich eine düstere Stimmung über mich senkte, die ich nicht mehr loswurde. Ich war froh, dass Khaderbhai mich angewiesen hatte, Madjid zu verlassen und bei Abdul Ghani anzufangen. Das Gold, dieses Edelmetall, das in Indien so viele Millionen begeisterte, bereitete mir Unbehagen. Ich hatte gern mit Khaled Ansari und seinen Devisen gearbeitet. Und ich wusste, dass es mir Spaß machen würde, mit Abdul Ghani im Passgeschäft zu arbeiten: Für einen Mann auf der Flucht gab es nichts Wertvolleres als Pässe. Aber mit Gold in solchen Mengen zu arbeiten, belastete mich. Gold bringt eine andere Form und Farbe von Gier in den Augen zum Flackern. Geld ist fast immer Mittel zum Zweck, aber Gold ist für viele Männer Selbstzweck, und deren Liebe zu dem edlen Metall gibt der Liebe einen schmutzigen Beigeschmack.
Ich verabschiedete mich ein letztes Mal von Madjid und erklärte ihm, Khaderbhai habe andere Arbeit für mich. Dass ich bei Abdul Ghani im Passgeschäft anfangen sollte, sagte ich nicht. Madjid und Ghani waren beide Mitglieder von Khaders Mafia-Rat. Ich war mir sicher, dass sie von jeder Entscheidung, die mich betraf, lange vor mir erfuhren. Wir gaben uns die Hand. Er zog mich unbeholfen an sich und umarmte mich steif. Dann lächelte er und wünschte mir alles Gute. Sein Lächeln war falsch, doch ohne Arglist. Madjid Rhustem war einfach einer jener Menschen, die Lächeln für einen Willensakt halten. Ich dankte ihm für seine Geduld, aber sein Lächeln erwiderte ich nicht.
Als ich das letzte Mal bei den Juwelieren im Zhaveri Bazaar die Runde machte, fühlte ich mich von einer nervösen Rastlosigkeit umgetrieben, von jenem ziellosen Zorn, der mit dem Gefühl der Sinnlosigkeit einhergeht und sich häufig in einem verpfuschten Leben zeigt. Ich hätte glücklich und zufrieden sein sollen, oder zumindest glücklicher, als ich es war. Ich hatte Khaders Schutzversprechen. Ich verdiente gutes Geld. Bei meiner Arbeit hatte ich jeden Tag mit Bergen von Gold zu tun. Ich war im Begriff, alles zu lernen, was ich über das Passgeschäft wissen musste. Ich konnte mir kaufen, was ich wollte. Ich war kräftig, gesund und frei. Ich hätte glücklicher sein sollen.
Glück ist ein Mythos, hatte Karla einmal gesagt. Er ist in die Welt gesetzt worden, damit wir mehr kaufen. Und wie ihre Worte auf dem Strom meiner düsteren Gefühle tanzten und ich an ihr Gesicht und ihre Stimme dachte, kam ich zu dem Schluss, dass sie vielleicht recht hatte. Dann fiel mir meine Unterhaltung mit Khaderbhai wieder ein und wie er mit mir gesprochen hatte, als wäre ich sein Sohn. In diesem Augenblick hatte ich mich glücklich gefühlt, das konnte ich nicht bestreiten. Doch das reichte nicht aus: So aufrichtig, tief und rein dieses Gefühl auch gewesen sein mochte, war es doch nicht stark genug, mich nun aus dieser Stimmung zu reißen.
Mein Krafttraining mit Abdullah an diesem Tag war besonders effektiv. Er akzeptierte meine Verfassung, und wir absolvierten unser anstrengendes Trainingsprogramm schweigend. Nach dem Duschen bot er mir an, mich mit dem Motorrad nach Hause zu fahren. Von der Küste in Breach Candy brausten wir über die August Kranti Marg ins Stadtinnere. Wir trugen beide keinen Helm, und die heiße, trockene Brise, die uns durch das Haar und durch unsere weiten Seidenhemden strich, fühlte sich an wie ein Fluss aus Wind. Abdullah wurde plötzlich auf eine Gruppe Männer aufmerksam, die vor einem Café standen. Ich vermutete, dass sie Iraner waren, so wie er. Er wendete und parkte das Motorrad etwa dreißig Meter von ihnen entfernt.
»Bleib du hier beim Motorrad«, sagte er, während er den Motor ausschaltete und den Seitenständer herunterklappte. Wir stiegen beide ab. Er ließ die Gruppe nicht aus den Augen. »Wenn es Ärger gibt, fahr sofort weg.«
Er schlenderte auf die
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