Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
Vom Netzwerk:
das Beste draus. Ich stieg ab und trat zu ihr.
    »Ich wollte hier sowieso absteigen«, sagte ich. Lisa und Abdullah starrten einander weiter an. »Mein Platz ist frei – wenn du magst.«
    »Also gut«, sagte sie lächelnd. »Auf geht’s.«
    Sie zog ihren Rock ein bisschen hoch und kletterte unter den Blicken von sämtlichen Männern auf der Straße auf den Motorradsitz. Selbst die letzten zwei oder drei Männer auf der Straße, die bisher noch nicht gegafft hatten, taten es spätestens jetzt. Grinsend wie ein Schuljunge reichte Abdullah mir die Hand. Er legte den Gang ein und donnerte davon, mitten hinein ins Verkehrsgetümmel.
    »Hübsches Motorrad«, sagte eine Stimme hinter mir. Es war Zwilling-George.
    »Aber nicht sonderlich verkehrssicher, diese Enfields«, wandte eine andere Stimme mit starkem kanadischem Akzent ein. Es handelte sich um Skorpion-George.
    Die beiden waren wie immer unrasiert, ungewaschen und ungepflegt.
    »Hallo, Jungs. Wie geht’s?«
    »Gut, mein Sohn, sehr gut«, antwortete Zwilling-George in seinem Liverpooler Singsang. »Wir haben heute Abend nämlich einen Kunden, so gegen sechs.«
    »Toi, toi, toi«, fügte Skorpion-George hinzu und nahm mit seiner verdrießlichen Miene schon die Probleme vorweg, die es abends womöglich geben würde.
    »Es dürfte sich lohnen«, sagte Zwilling-George fröhlich. »Ein guter Kunde. Sollte ein hübsches Sümmchen einbringen.«
    »Wenn alles gut läuft und nichts danebengeht«, wandte Skorpion-George sorgenvoll ein.
    »Da muss jemand was ins Wasser gemischt haben«, murmelte ich, während ich dem kleinen weißen Fleck – Abdullahs Hemd oder Lisas Rock – nachsah, der eben in der Ferne verschwand.
    »Bitte?«
    »Ach nichts. Irgendwie scheinen sich derzeit alle zu verlieben.«
    Ich dachte an Prabaker, Vikram und Johnny Cigar. Und ich kannte den Ausdruck, den ich in Abdullahs Augen gesehen hatte, als er losfuhr, nur allzu gut. Er war weit mehr als nur interessiert.
    »Ist ja witzig, dass du das sagst – was hältst du eigentlich von der Theorie, dass Sex die beste Triebkraft ist, Lin?«, fragte mich Skorpion-George.
    »Triebkraft?«
    »Nicht nur«, antwortete Zwilling-George vielsagend und mit anzüglichem Zwinkern.
    »Komm, sei doch wenigstens mal einen Moment lang ernst«, schimpfte Skorpion-George. »Sexuelle Motivation, Lin – was hältst du davon?«
    »Was meinst du damit?«
    »Wir debattieren gerade darüber –«
    »Wir diskutieren«, unterbrach ihn Zwilling-George. »Das hier ist keine Debatte, sondern eine Diskussion. Wir debattieren nicht, wir diskutieren .«
    »Wir diskutieren gerade darüber, was die Menschen motiviert.«
    »Ich warne dich, Lin«, sagte Zwilling-George mit einem theatralischen Seufzer. »Wir führen diese Diskussion jetzt schon seit zwei Wochen, aber Skorpion will einfach keine Vernunft annehmen.«
    »Also, wie gesagt, wir diskutieren darüber, was die Menschen motiviert«, wiederholte Skorpion-George nachdrücklich, in einem Ton, der durch die Kombination seines kanadischen Akzents und seiner professoralen Art an den Kommentator in einem Dokumentarfilm erinnerte und seinen englischen Freund immer wieder auf die Palme brachte. »Freud hat gesagt, dass das, was uns motiviert, der Sexualtrieb ist. Adler war da anderer Ansicht. Seiner Meinung nach motiviert uns ausschließlich der Machttrieb. Dann kam Victor Frankl und hat erklärt, dass Sex und Macht zwar wichtig seien, aber wenn man keins von beiden kriegen könnte – keinen Sex und keine Macht –, dann gäbe es trotzdem noch etwas, was uns antreibt und in Gang hält –«
    »Jaja, die Suche nach dem Sinn des Lebens«, ergänzte Zwilling-George. »Was letztlich genau das Gleiche ist, nur anders ausgedrückt. Wir streben nach Macht, weil wir durch Macht zu Sex kommen, und wir suchen nach einem tieferen Sinn, weil der uns hilft, den Sex zu verstehen. Letztlich läuft alles auf Sex hinaus, wie man es auch dreht und wendet. Diese anderen Ideen sind sozusagen seine Kleider. Und wenn man die Kleider abstreift, bleibt der Sex, stimmt’s?«
    »Nein, eben nicht!«, widersprach Skorpion-George. »Wir haben alle den Trieb, einen Sinn im Leben zu finden. Wir wollen unbedingt wissen, was das alles soll. Wenn es nur um Sex und Macht ginge, wären wir heute noch Schimpansen. Erst die Suche nach dem Sinn des Lebens macht uns doch zu Menschen.«
    »Der Sex macht Menschen, mein Lieber«, warf Zwilling-George ein, und sein schalkhaft-anzügliches Grinsen wurde noch zweideutiger. »Aber

Weitere Kostenlose Bücher