Shantaram
irgendwas Wichtigem«, wiederholte ich und lachte. Aber es war kein schönes Lachen. Es war voll Bitterkeit und Wut, obwohl ich versuchte, diese Gefühle zu verdrängen. »Tut mir leid, Karla. Ich konnte dir nicht Bescheid geben. Es war unmöglich, eine Nachricht rauszuschmuggeln. Und ich hatte solche Angst, dass du … dass du mich hassen würdest, weil ich einfach verschwunden bin.«
»Als ich erfahren habe – dass du im Knast sitzt –, hat es mir fast das Herz gebrochen. Mir ging es in dieser Zeit auch nicht besonders gut. Dieses … Geschäft, das ich da laufen hatte … das hat sich in die falsche Richtung entwickelt. Und zwar in eine so falsche, so üble Richtung, Lin, dass mir diese Sache noch ziemlich lange nachhängen wird … vielleicht für immer. Und dann habe ich das mit dir erfahren. Ich war so … na ja … auf einmal war alles anders, von einem Moment auf den anderen. Alles.«
Ich begriff nicht, was sie mir da erzählte. Es war bestimmt wichtig, und ich hätte gern nachgefragt, doch die einsame Gestalt, die Karla so aufmerksam betrachtete, war jetzt nur noch ein paar Meter von uns entfernt und näherte sich mit langsamen, würdevollen Schritten. Der Moment verstrich ungenutzt.
Es war tatsächlich ein heiliger Mann, ein großer, magerer Mann mit erdbrauner sonnenverbrannter Haut. Er trug nur einen Lendenschurz und Dutzende Halsketten,Amulette und Armbänder. Seine zu Dreadlocks verfilzten Haare reichten ihm bis zur Taille. Er lehnte den Wanderstab an seine Schulter und legte die Hände zusammen, zum Gruß und zum Segen. Wir grüßten ihn ebenfalls und luden ihn ein, sich zu uns zu setzen.
»Habt ihr ein bisschen Charras?«, fragte er auf Hindi. »In dieser wunderschönen Nacht würde ich gerne etwas rauchen.«
Ich fischte ein Klümpchen Charras aus der Hosentasche und warf es ihm zusammen mit einer Filterzigarette zu.
»Der Bhagwan segne deine Freundlichkeit«, dankte er fast singend.
»Auch dich möge der Bhagwan segnen«, erwiderte Karla in perfektem Hindi. »Wir freuen uns sehr, in dieser wunderbaren Mondnacht einem Anhänger des Shiwa zu begegnen.«
Er lächelte breit und entblößte dabei seine lückenhaften Zahnreihen. Dann begann er geschäftig, ein Chillum vorzubereiten. Als seine Tonpfeife gestopft war, hob er die Hand, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen.
»Bevor wir rauchen, möchte ich euch auch ein Geschenk machen«, sagte er. »Versteht ihr mich?«
»Ja, wir verstehen dich«, sagte ich und sah ihm freundlich in die leuchtenden Augen.
»Gut. Ich spende euch einen Segen. Mein Segen soll euch immer begleiten. Und ich gebe euch diesen Segen …«
Er kniete vor uns, faltete die Hände vor der Stirn und beugte sich so weit vor, bis seine Stirn den Sand berührte. Dann richtete er sich wieder auf und erhob seine Hände zum Himmel. Das tat er mehrfach und murmelte dazu etwas Unverständliches.
Schließlich hockte er sich auf die Fersen, sah uns mit seinem lückenhaften Lächeln an und forderte mich mit einem Nicken auf, die Pfeife anzuzünden. Wir rauchten schweigend. Als die Pfeife leer geraucht war und der heilige Mann mir den Rest des Charrasklümpchens wieder zurückgeben wollte, nahm ich es nicht an. Er steckte es mit einer feierlichen Neigung des Kopfes ein und schickte sich an zu gehen. Als wir zu ihm aufblickten, deutete er mit seinem Stab langsam und feierlich auf den fast vollen Mond. Wir verstanden sofort, was er uns zeigen wollte – das Muster auf der Mondoberfläche, das in manchen Kulturen Kaninchen genannt wird, sah für uns plötzlich wie eine kniende Gestalt aus, die Arme zum Gebet erhoben. Mit einem fröhlichen Glucksen wanderte der Sadhu durch die sanft geschwungenen Dünen davon.
»Ich liebe dich, Karla«, sagte ich, als wir wieder allein waren. »Ich habe dich schon geliebt, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich glaube, ich liebe dich schon so lange, wie es überhaupt Liebe gibt auf der Welt. Ich liebe deine Stimme. Ich liebe dein Gesicht. Ich liebe deine Hände. Ich liebe alles, was du tust und wie du es tust. Jede deiner Berührungen ist Magie. Ich liebe, wie du denkst und was du sagst. Ich verstehe das alles nicht, und ich kann es noch viel weniger erklären, dir nicht und mir schon gar nicht – aber es ist eben so: Ich liebe dich. Nicht mehr und nicht weniger. Ich liebe dich aus tiefstem Herzen. Du machst mit mir das, was eigentlich Gott tun müsste: Du gibst mir einen Grund zu leben. Du gibst mir einen Grund, diese Welt zu lieben.«
Sie
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