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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hat. Ned ist dann dazwischengegangen. Aber eigentlich ging es bei der ganzen Sache um viel mehr. Die haben ihn aus allen möglichen Gründen gehasst – am meisten aber für das, wofür er stand: Er war so etwas wie der Geist der Rebellion. Und damit konnte ich viel anfangen, schließlich war ich Revolutionär.«
    »Eine Revolution in Australien?«, fragte Karla mit verblüfftem Lachen. »Davon habe ich ja noch nie gehört.«
    »Keine Revolution«, korrigierte ich sie. »Nur Revolutionäre. Und ich war einer davon. Ich war Anarchist. Ich hatte gelernt, wie man schießt und wie man Bomben baut. Wir waren bereit zu kämpfen, sobald die Revolution ausbrechen würde – was natürlich nie passiert ist. Und wir haben versucht, unsere Regierung davon abzubringen, sich für den Vietnamkrieg zu engagieren.«
    »Australien war am Vietnamkrieg beteiligt?«
    Jetzt musste ich lachen.
    »Ja.Außerhalb von Australien weiß das zwar fast niemand, aber wir haben im Vietnamkrieg gekämpft, mit den USA. Australische Soldaten sind in Vietnam neben amerikanischen Soldaten gefallen, und junge Australier wurden eingezogen. Einige von uns haben sich geweigert, wie die amerikanischen Kriegsdienstverweigerer.Viele sind dafür ins Gefängnis gewandert.Aber ich nicht.Ich habe Bomben gebaut und Demonstrationen organisiert und in Straßenschlachten gegen die Bullen gekämpft, bis es einen Regierungswechsel gab und Australien sich aus Vietnam zurückzog.«
    »Und bist du immer noch einer?«
    »Ein was?«
    »Bist du immer noch Anarchist?«
    Es fiel mir schwer, diese Frage zu beantworten, denn dazu musste ich den Mann, der ich einst gewesen war, mit dem vergleichen, zu dem ich geworden war.
    »Anarchisten …«, setzte ich an und stockte prompt. »Ich kenne keine andere politische Philosophie, die mit einer solchen Menschenliebe einhergeht wie der Anarchismus. Jede andere Weltsicht geht davon aus, dass die Menschen kontrolliert, kommandiert und regiert werden müssen. Nur die Anarchisten vertrauen dem Menschen genug, dass sie ihn seine Probleme selbst lösen lassen. So optimistisch war ich früher auch mal. Damals habe ich auch so gedacht. Aber das ist vorbei. Insofern bin ich wohl kein Anarchist mehr, nein.«
    »Und dieser australische Held – hast du dich mit dem identifiziert, als du deine Raubüberfälle begangen hast?«
    »Mit Ned Kelly? Ja, ich denke schon. Er hatte eine Bande, lauter junge Kerle – sein jüngerer Bruder und seine zwei besten Freunde –, und mit der hat er Leute überfallen und ausgeraubt. Die Bullen haben ein Killerkommando auf ihn angesetzt, aber er hat sich zur Wehr gesetzt, und ein paar von den Bullen mussten dran glauben.«
    »Und was ist am Ende mit ihm passiert?«
    »Er ist erwischt worden. Es gab eine Schießerei. Die Regierung hat ihm regelrecht den Krieg erklärt. Die haben ihm einen ganzen Zug voll Bullen auf den Hals gehetzt, und die haben seine Bande dann in einem Hotel umstellt, im Busch.«
    »In einem Busch ?«
    »Nicht in einem Busch – in Australien nennen wir jede mehr oder weniger unbesiedelte Gegend Busch. Na ja, Ned und seine Jungs waren also von einer ganzen Armee von Bullen umzingelt. Sein bester Freund wurde mit einem Schuss in den Hals getötet. Sein kleiner Bruder und ein anderer Typ, Steve Hart, haben sich mit ihren letzten Kugeln gegenseitig erschossen, damit sie den Bullen nicht ins Netz gingen. Sie sind neunzehn Jahre alt geworden. Ned hatte eine Rüstung aus Stahl – einen Helm und einen Brustpanzer. Er hat sich auf sie gestürzt, auf diese Armee von Bullen, hat aus beiden Pistolen gefeuert und ihnen eine derartige Angst eingejagt, dass sie die Flucht ergriffen haben. Aber ihre Vorgesetzten haben sie wieder zurückgeschickt, und dann haben sie Ned Kelly die Beine unter dem Bauch weggeschossen. Nach einem Scheinprozess mit falschen Zeugenaussagen ist er zum Tode verurteilt worden.«
    »Ist das Urteil vollstreckt worden?«
    »Ja. Seine letzten Worte waren So ist das Leben. Das war das Letzte, was er gesagt hat. Er wurde gehängt, und danach haben sie seinen Kopf abgeschnitten und ihn als Briefbeschwerer benutzt. Vor seinem Tod sagte er noch zu dem Richter, der ihn verurteilt hat, sie würden sich bald vor einem höheren Gericht wiedersehen. Und kurz darauf ist der Richter gestorben.«
    Sie beobachtete mein Gesicht, während ich erzählte. Ich nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln. Zwei große Fledermäuse flogen über uns hinweg. Sie waren so nah, dass wir das

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