Shantaram
schnaufte er, als das Taxi anfuhr. »Sogar in den übelsten Kaschemmen.«
»Das erzählen mir neuerdings alle.«
»Wirklich, Lin, du solltest versuchen, in Kneipen zu gehen, wo es ordentlichen Alkohol gibt. Nicht, dass man dich dann leichter finden würde, aber es gestaltet die Sucherei wenigstens ein bisschen angenehmer.«
»Wo fahren wir hin, Didier?«
»Genau in diesem Moment, mein Lieber, beginnt Vikrams großartige Strategie – na ja, wenn wir ehrlich sind, war es meine superbe Strategie – zur Eroberung von Letitias kaltem, steinernem englischen Herzen.«
»Das ist ja schön, und ich wünsche ihm dabei auch alles Gute, aber ich habe Hunger«, murrte ich, »ich wollte mich gerade über einen Teller Pulao hermachen. Du kannst mich hier rauslassen.«
»Auf keinen Fall! Das ist vollkommen ausgeschlossen!«, protestierte Didier. »Letitia ist eine furchtbar eigensinnige Frau. Sie würde sogar Gold und Diamanten ablehnen, wenn jemand darauf bestünde, sie ihr zu schenken. Sie wird an der Umsetzung dieses Plans nur mitwirken, wenn jemand sie dazu überredet. Jemand wie du, mein Freund. Und das muss innerhalb der nächsten halben Stunde geschehen. Bis spätestens sechs nach drei.«
»Wie kommst du eigentlich darauf, dass Letitia auf mich hören könnte?«
»Du bist der Einzige von uns, den sie nicht hasst oder irgendwann mal gehasst hat. Wenn Letitia sagt Ich hasse dich nicht ist das so gut wie eine Liebeserklärung, und zwar eine leidenschaftliche. Sie wird auf dich hören, da bin ich mir sicher. Ohne dich wird der Plan scheitern. Und als wäre seine Liebe zu einer Frau wie Letitia nicht schon Beweis genug für seine geistige Verwirrung, hat der gute Vikram auch schon mehrmals sein Leben aufs Spiel gesetzt, um diesen Plan zu verwirklichen. Du kannst dir nicht vorstellen, was wir alles an Vorarbeit geleistet haben, Vikram und ich, nur für diesen einen Moment.«
»Mir sagt ja keiner was«, beschwerte ich mich, in Gedanken immer noch bei dem köstlichen Pulao im Leopold’s.
»Aber deshalb habe ich dich doch in ganz Colaba gesucht! Du hast keine Wahl, Lin – du musst ihm einfach helfen. Ich kenne dich. Du hängst, genau wie ich, einem altmodischen Glauben an die Liebe an. Und dieser Wahnsinn, in den die Liebe ihre Opfer stürzt, fasziniert dich.«
»Ganz so würde ich das nicht unbedingt formulieren, Didier.«
»Du kannst es formulieren, wie du willst«, antwortete er und lachte zum ersten Mal. »Aber du hast die Liebeskrankheit, Lin, und tief in deinem Innern weißt du, dass du Vikram helfen musst, genau wie ich.«
»Herr im Himmel!« Ich gab meinen Widerstand auf und zündete mir gegen den Hunger ein Beedie an. »Überredet. Ich tue, was ich kann. Versprochen. Also, was habt ihr vor?«
»Na ja, der Plan ist ziemlich kompliziert –«
»Moment!«, fiel ich ihm mit erhobener Hand ins Wort. »Ist es gefährlich?«
»Na ja …«
»Und strafbar?«
»Na ja …«
»Das habe ich mir gedacht. Dann verrate mir lieber nichts, bis es losgeht. Ich hab schon genug andere Sorgen.«
»D’accord. Ich wusste, dass wir auf dich zählen können. À propos, wo wir grade von Sorgen reden, ich habe da eine kleine Neuigkeit, die dich vielleicht weiterbringen könnte.«
»Her damit.«
»Die Frau, die Anzeige gegen dich erstattet und dich ins Gefängnis gebracht hat, ist keine Inderin. Das habe ich absolut zweifelsfrei in Erfahrung gebracht. Sie ist Ausländerin und lebt hier in Bombay.«
»Das ist alles?«
»Ja. Mehr habe ich leider nicht zu bieten. Noch nicht. Aber ich werde nicht ruhen, bis ich alles herausgefunden habe.«
»Danke, Didier.«
»Schon in Ordnung. Übrigens siehst du gut aus. Vielleicht sogar besser als vor dem Gefängnis.«
»Danke. Ich habe ein bisschen zugenommen und bin fitter.«
»Und vielleicht auch ein bisschen … verrückter?«
Ich lachte und wich seinem Blick aus, denn er hatte recht. Das Taxi hielt an der Marine Lines Station. Marine Lines war die erste Haltestelle nach dem Churchgate Depot, dem Endbahnhof der Nahverkehrszüge in der Innenstadt. Wir gingen die Fußgängerrampe hinauf. Am Bahnsteig erwartete uns Vikram bereits mit ein paar Freunden.
»Oh verdammt ! Gott sei Dank bist du endlich da, Mann!«, sagte er, ergriff mit beiden Händen meine Rechte und schüttelte sie begeistert. »Ich hab schon gedacht, du kommst nicht.«
»Wo ist Letitia?«, fragte Didier.
»Hinten auf dem Bahnsteig, yaar. Sie kauft sich was zu trinken. Da, an dem Getränkestand hinter dem Chai-Laden –
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