Shantaram
Meine Stadt war ein dampfiges, drückendheißes Treibhaus der Träume. Und dort auf dem rotbraunen, rostigen Zugdach wurde gerade ein neuer Liebestraum geboren. Ich dachte an meine Familie, während wir durch die feuchte Traumluft fuhren. Ich dachte an Karla. Und ich tanzte auf dieser stählernen Schlange, die neben dem wogenden und schwellenden Ozean, dem unvergänglichen und unendlichen Meer dahinglitt.
Obwohl Vikram und Lettie eine ganze Woche lang untertauchten, nachdem sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte, machte sich in unserem Freundeskreis aus dem Leopold’s ein heiterer Optimismus breit, der schon fast an Glück grenzte. Als Vikram schließlich wieder auftauchte, empfingen wir ihn mit aufrichtiger Freude. Abdullah und ich waren gerade vom Training gekommen und neckten ihn erbarmungslos, weil er so selig-verklärt und in seiner Freude ein wenig erschöpft wirkte. Als Vikram dann von der Liebe zu schwärmen begann, ließen wir von ihm ab und widmeten uns stumm und zielstrebig unserem Essen. Didier war ebenfalls in Hochstimmung. Er prahlte mit dem Erfolg seiner Liebesstrategie und forderte uns lautstark zu einer bescheidenen Anerkennung seiner Leistung auf – die er sich selbstredend in flüssiger und hochprozentiger Form wünschte.
Als ich zwischendurch von meinem Teller aufblickte, sah ich draußen einen jungen Burschen stehen, einen der Straßenjungen, die den Schwarzmarkthändlern zuarbeiteten. Er winkte mich sichtlich besorgt zu sich. Ich ging hinaus, um auf dem Gehweg mit ihm zu reden.
»Lin! Riesenärger für dich«, sagte er rasch, während er sich nervös nach allen Seiten umschaute. »Drei Männer. Afrikaner. Kräftige Männer. Groß und stark. Sie suchen dich. Sie wollen dich umbringen.«
»Mich umbringen?«
»Ja. Bestimmt. Besser du gehst. Geh schnell aus Bombay fort. Geh für eine Weile!«
Er rannte davon und verschwand in der Menge. Verdutzt, aber nicht beunruhigt, kehrte ich an meinen Tisch zurück. Ich hatte kaum zwei Bissen gegessen, als mich wieder jemand zu sich auf die Straße rief. Diesmal war es Zwilling-George.
»Ich glaube, du steckst in der Klemme, alter Knabe«, sagte er. Er klang fröhlich, doch sein Gesicht war angespannt und ängstlich.
»Aha.«
»Sieht so aus, als wollten dir drei Afrikaner massiven Ärger machen, stiernackige Kerle – Nigerianer, glaube ich –, wenn du verstehst, was ich dir sagen will.«
»Wo sind sie?«
»Weiß ich nicht, Kumpel. Ich hab nur gesehen, wie sie mit ein paar von den Straßenjungs geredet haben, aber dann haben sie sich ein Taxi genommen und sind verschwunden. Das sind richtige Schränke, Lin. Die haben kaum in das Taxi gepasst. Sind schier aus den Fenstern rausgequollen, verstehst du?«
»Was wollen sie denn?«
»Keine Ahnung, Kumpel. Was dahintersteckt, haben sie nicht gesagt. Aber die suchen dich, Lin, und sie haben nichts Gutes im Sinn. An deiner Stelle würde ich höllisch aufpassen, Sonnenscheinchen.«
Ich griff in die Tasche, doch er legte mir die Hand auf den Unterarm. »Nee, lass mal. Das geht auf Kosten des Hauses. Was immer da läuft, es ist nicht okay.«
Er schlenderte davon und heftete sich drei deutschen Touristen an die Fersen, die gerade vorbeispaziert waren. Ich ging wieder hinein. Nachdem die erste Warnung durch Zwilling-George bestätigt worden war, machte ich mir nun doch Sorgen. Ich brauchte länger als sonst, um meinen Teller leer zu essen. Kurz darauf bekam ich zum dritten Mal Besuch, diesmal von Prabaker.
»Lin!«, sagte er, und die Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Gibt es da eine sehr viel schlimme Neuigkeit!«
»Ich weiß, Prabu.«
»Drei Männer, weißt du, Lin, sind sie aus Afrika und wollen sie dich hauen und tot machen und verprügeln! Fragen sie überall nach dir. Oh Lin, sind sie ganz viel riesige Burschen! Wie Büffel! Musst du gleich eine glückliche Flucht machen!«
Ich brauchte geschlagene fünf Minuten, um ihn zu beruhigen, und selbst dann musste ich noch eine Aufgabe für ihn erfinden, damit er überhaupt von meiner Seite wich – ich trug ihm auf, dass er in allen Hotels, die er gut kannte, nach den Afrikanern forschen sollte. Als Didier, Vikram, Abdullah und ich wieder allein waren, überlegten wir, welche Möglichkeiten ich hatte. Unser Schweigen vertiefte sich. Schließlich ergriff Vikram das Wort.
»Na ja, also – wir suchen diese Arschlöcher und schlagen ihnen die Schädel ein«, schlug er vor und blickte um Unterstützung heischend in die Runde.
»Nachdem wir sie
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