Shantaram
siehst du sie?«
»Ah ja. Und sie weiß nichts von unserem Plan?«
»Sie hat nicht den leisesten Schimmer, Mann. Ich bin so scheißnervös, dass es garantiert nicht klappt, yaar. Und was machen wir, wenn sie dabei draufgeht, Didier? Das kommt gar nicht gut, wenn mein Heiratsantrag sie umbringt!«
»Sie umzubringen wäre wirklich kein guter Anfang«, sinnierte ich.
»Keine Sorge. Es wird schon klappen«, beschwichtigte ihn Didier, wischte sich jedoch zugleich mit einem parfümierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn und hielt nervös nach einem einfahrenden Zug
Ausschau. »Es wird schon alles klappen. Hab Vertrauen.«
»Das haben sie in Jonesville auch gesagt, yaar.«
»Was soll ich eigentlich bei der ganzen Aktion machen, Vikram?«, fragte ich in der Hoffnung, ihn ein wenig beruhigen zu können.
»Okay«, sagte er so atemlos, als wäre er gerade eine Treppe hinaufgerannt. »Also. Erstens muss Lettie hier stehen, vor dir. Genau da, wo ich jetzt stehe.«
»Mhm.«
»Es muss genau hier sein. Exakt. Wir haben das tausend Mal gecheckt, Mann, und es muss wirklich genau hier sein. So weit klar?«
»Ich … ich denke schon. Du meinst, sie soll genau …«
»Hier!«
»Hier?«, neckte ich ihn.
»Scheiße, Mann! Das ist wichtig, ja? Und da gibt es überhaupt nichts zu lachen!«
»Schon okay! Ist ja gut. Ich soll also dafür sorgen, dass Lettie hier steht.«
»Ja. Genau hier. Und dann musst du sie dazu überreden, dass sie sich die Augen verbindet.«
»Die … Augen verbindet?«
»Ja. Sie muss verbundene Augen haben, Lin, sonst funktioniert das alles nicht. Und sie muss die Augenbinde anbehalten, auch wenn sie vielleicht ein bisschen Angst kriegt.«
»Angst?«
»Ja. Das ist dein Part. Wenn wir dir ein Zeichen geben, musst du sie dazu bringen, dass sie sich die Augen verbindet, und dann musst du dafür sorgen, dass sie die Augenbinde nicht abstreift. Auch wenn sie anfängt zu schreien, yaar !«
»Zu schreien ?«
»Ja. Wir haben überlegt, ob wir auch einen Knebel benutzen sollen, yaar, aber dann haben wir uns gedacht, so ein Knebel ist vielleicht kontraproduktiv, weil, mit so ‘nem verdammten Knebel rastet sie vielleicht doch aus.«
»Einen … Knebel?«
»Ja. Okay, da kommt sie! Pass auf das Zeichen auf!«
»Hallo, Lin, alter Fettwanst«, sagte Lettie und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Du hast ja ganz schön zugelegt, mein Sohn.«
»Du siehst auch blendend aus«, antwortete ich und freute mich richtig, sie zu sehen.
»Was geht hier eigentlich gerade ab?«, erkundigte sie sich. »Scheinbar sind wir jetzt ja vollzählig.«
»Wie – das weißt du nicht?«, fragte ich.
»Nein, woher denn? Vikram hat mir bloß gesagt, dass wir uns mit dir und Didier – hallo, Didier – hier treffen, und jetzt sind wir alle da. Also, was läuft?«
Der Zug von der Churchgate Station kam in Sicht und näherte sich langsam. Vikram gab mir das Zeichen: Er riss die Augen weit auf und schüttelte den Kopf. Ich legte Lettie die Hände auf die Schultern und drehte sie sanft um, bis sie genauso stand, wie Vikram es haben wollte, mit dem Rücken zum Bahngleis.
»Vertraust du mir, Lettie?«, fragte ich.
Sie lächelte mich an.
»Ein bisschen«, antwortete sie.
»Gut.« Ich nickte. »Also, pass auf, ich möchte, dass du etwas tust. Du wirst es komisch finden, das weiß ich, aber wenn du es nicht tust, wirst du niemals erfahren, wie sehr Vikram dich liebt – wie sehr wir dich alle lieben. Es ist eine Überraschung, die wir uns für dich ausgedacht haben. Wie gesagt, es geht um Liebe …«
Der Zug bremste ab und fuhr hinter ihr in den Bahnhof ein. Ihre Augen funkelten. Ein Lächeln umspielte ihre geöffneten Lippen. Sie war neugierig und ein bisschen aufgeregt. Hinter ihrem Rücken trieben mich Vikram und Didier wild gestikulierend zur Eile an. Der Zug kam mit metallisch-triumphalem Quietschen zum Stehen.
»Also: Du musst dir die Augen verbinden und versprechen, dass du nicht guckst, bis wir es dir erlauben.«
»Das ist alles?«
»Ja«, sagte ich achselzuckend.
Sie schaute mich an. Studierte mein Gesicht. Sah mir lächelnd in die Augen. Zog die Augenbrauen hoch und die Mundwinkel herunter und überlegte. Dann nickte sie.
»Also gut«, sagte sie lachend. »Ich bin dabei.«
Vikram sprang mit der Augenbinde vor, band sie Lettie um und fragte besorgt, ob sie auch nicht zu fest sitze. Dann führte er Lettie ein, zwei Schritte rückwärts in Richtung des Zugs und bat sie, die Arme zu heben.
»Die Arme heben? So? Aber
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