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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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von der Decke fiel, und ständig lagen Mauerstücke, Balken und anderes Zeug im Hausflur herum. Vor ein paar Jahren ist das Haus dann während des Monsuns endgültig zusammengebrochen, und dabei sind einige Leute zu Tode gekommen. Manchmal gehe ich da vorbei und schaue nach oben auf die leere Stelle, wo früher mein Zimmer war. Man könnte wohl sagen, dass Didier und ich uns nahestehen. Aber Freunde? Ich finde es von Jahr zu Jahr schwieriger zu verstehen, was Freundschaft wirklich ist. Freundschaft ist so was wie eine Matheprüfung, die keiner besteht. Wenn ich mich ganz mies fühle, denke ich manchmal, ein Freund ist bestenfalls jemand, den man nicht verabscheut.«
    Ihr Tonfall war ernst, aber ich gestattete mir ein kleines Lachen.
    »Finde ich doch etwas extrem, die Auffassung.«
    Sie blickte mich finster an, lachte aber dann.
    »Mag sein. Vielleicht bin ich nur müde. Ich hab nicht viel geschlafen in den letzten Nächten. Ich will Didier nicht unrecht tun. Aber er kann einem manchmal wirklich auf die Nerven gehen, weißt du? Hat er eigentlich irgendwas über mich gesagt?«
    »Er … er hat gesagt, dass er dich schön findet.«
    »Wirklich?«
    »Ja. Er hat über die Schönheit von weißen und schwarzen Menschen philosophiert und gesagt: Karla ist schön.«
    Sie zog erfreut die Augenbrauen hoch.
    »Na gut. Ich werte das mal als großes Kompliment, auch wenn er ein gigantischer Lügner ist.«
    »Ich mag Didier.«
    »Warum?«, fragte sie sofort.
    »Ach, ich weiß nicht genau. Vermutlich, weil er ein Profi ist. Ich mag Leute, die ihre Sache beherrschen. Und er strahlt eine Traurigkeit aus, die … die ich irgendwie nachvollziehen kann. Er erinnert mich an ein paar Leute, die ich kenne. Freunde.«
    »Zumindest macht er keinen Hehl aus seiner Dekadenz«, sagte sie, und ich erinnerte mich daran, was Didier über Karla und die Macht von Geheimnissen gesagt hatte. »Vielleicht gibt es tatsächlich etwas, das Didier und mich verbindet«, fuhr Karla fort. »Wir hassen beide Heuchler. Heuchelei ist eine Art von Grausamkeit. Und Didier ist nicht grausam. Er ist zügellos, aber nicht grausam. In letzter Zeit war er ziemlich gemäßigt, aber es gab schon Zeiten, in denen seine leidenschaftlichen Affären Stadtgespräch waren, zumindest unter den Ausländern, die hier leben. Ein eifersüchtiger Liebhaber, ein junger Marokkaner, hat ihn mal nachts mit dem Schwert über den Causeway gejagt. Beide waren splitterfasernackt – ein skandalöser Vorfall für Bombay, und was Didier betrifft, ein bemerkenswertes Spektakel, kann ich dir nur sagen. Er ist in die Polizeiwache von Colaba gerast, wo man ihn dann rettete. In solchen Dingen ist man in Indien ziemlich konservativ, aber Didier hat eine feste Regel: Er lässt sich nie auf Sex mit Indern ein, und ich glaube, das nötigt den Leuten Respekt ab. Viele Ausländer kommen wegen Sex mit indischen Jungen hierher. Didier verabscheut diese Typen und hat grundsätzlich nur Affären mit Ausländern. Es würde mich nicht wundern, wenn er dir deshalb heute so viel über die Umtriebe anderer Leute erzählt hat. Wahrscheinlich wollte er dich mit seinem Wissen über zwielichtige Geschäfte und Gestalten beeindrucken, um dich zu verführen. Oh, hallo, Katzeli! Ja wo kommst du denn her?«
    Auf der Ufermauer hockte eine Katze und futterte Essensreste aus einem kleinen Pappkarton. Das magere graue Tier duckte sich und gab grollende und klagende Laute zugleich von sich, aber es ließ sich von Karla streicheln und fraß unbeirrt weiter. Es war ein dürres räudiges Wesen, mit einem halb abgebissenen Ohr und kahlen Stellen, die mit Schrunden übersät waren. Ich wunderte mich, dass dieses halb verhungerte, verwilderte Tier sich von einer Fremden streicheln ließ und dass Karla den Wunsch verspürte, es zu berühren. Noch verwunderlicher fand ich allerdings, dass die Katze sich genüsslich Gemüse und Reis in einer Soße mit ganzen extrem scharfen Chilis zu Gemüte führte.
    »Oh, schau doch nur«, sagte Karla schwärmerisch. »Ist der nicht wundervoll?«
    »Hm, na ja …«
    »Findest du seinen Mut nicht bewundernswert? Seinen Überlebenswillen?«
    »Offen gestanden, mag ich Katzen nicht sonderlich. Gegen Hunde hab ich nichts, aber Katzen …«
    »Aber man muss Katzen einfach lieben! In einer perfekten Welt wären alle Menschen so, wie Katzen um zwei Uhr nachmittags sind.«
    Ich lachte. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine sehr eigenwillige Ausdrucksweise hast?«
    »Wie meinst du das?«, sagte

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