Shantaram
– Partys und spirituelle Erweckung. Die Partys hat sie gefunden und, glaube ich, auch in vollen Zügen genossen. Lettie liebt Partys. Aber aus dem spirituellen Teil ist nicht viel geworden. Dann ist sie gleich zweimal in einem Jahr nach London zurück, kam dann aber wieder, um ein letztes Mal nach ihrem Seelenheil zu suchen. Sie gibt sich gerne tough, aber in Wirklichkeit ist sie ein sehr spiritueller Mensch. Am meisten von uns allen, glaube ich.«
»Wovon lebt sie? Ich will, wie gesagt, nicht aufdringlich sein, es interessiert mich nur, wie andere sich hier über Wasser halten. Ausländer, meine ich.«
»Sie kennt sich sehr gut mit Edelsteinen aus, mit rohen und geschliffenen, und arbeitet auf Provisionsbasis für ausländische Einkäufer. Didier hat ihr das vermittelt. Er hat Kontakte in ganz Bombay.«
»Didier?« Ich lächelte erstaunt. »Ich dachte, die beiden hassen sich – na ja, hassen ist vielleicht zu viel gesagt. Ich dachte, sie können sich nicht ausstehen.«
»Sicher, sie gehen sich auf die Nerven. Aber sie sind trotzdem Freunde. Wenn einem von ihnen etwas zustoßen würde, wäre der andere todunglücklich.«
»Und was ist mit Maurizio?«, fragte ich, um einen beiläufigen Tonfall bemüht. Der große Italiener war zu attraktiv und zu selbstbewusst, und ich war neidisch auf ihn, weil ich mutmaßte, dass er Karla gut kannte und mit ihr befreundet war. »Was muss man über ihn wissen?«
»Was man über ihn wissen muss? Ich weiß nicht, was man über ihn wissen muss«, sagte sie und runzelte wieder die Stirn. »Seine Eltern haben ihm viel Geld hinterlassen. Er hat es durchgebracht, und ich glaube, er hat eine Art Talent fürs Geldausgeben entwickelt.«
»Das Geld von anderen?« Vielleicht spürte sie, dass ich erpicht darauf war, etwas Schlechtes über Maurizio zu hören, denn sie antwortete mit einer Gegenfrage.
»Kennst du die Geschichte von dem Skorpion und dem Frosch? Der Frosch erklärt sich bereit, den Skorpion über den Fluss zu tragen, weil der ihm verspricht, dass er ihn nicht sticht?«
»Ja, und dann sticht der Skorpion ihn doch, und zwar mitten auf dem Fluss. Kurz vor dem Ertrinken fragt der Frosch den Skorpion, warum er das getan habe, und der Skorpion antwortet, er sei nun mal ein Skorpion und er könne nicht anders.«
»Ja«, seufzte sie und nickte langsam. »So ist Maurizio. Wenn man das weiß, ist es kein Problem, dann bietet man ihm einfach nicht an, ihn über den Fluss zu tragen. Verstehst du, was ich meine?«
Ich war im Gefängnis gewesen, ich wusste genau, was sie meinte. Ich nickte und fragte sie nach Ulla und Modena.
»Ulla mag ich«, antwortete sie direkt, wieder mit diesem kleinen Lächeln. »Sie ist verrückt und unzuverlässig, aber ich hab viel übrig für sie. In Deutschland war sie ein reiches Mädchen. Dann spielte sie mit dem Feuer und wurde heroinabhängig. Ihre Familie brach den Kontakt zu ihr ab, und so kam sie nach Indien – mit einem üblen Typen, einem Deutschen, Junkie wie sie, der sie in einem schlimmen Laden hat arbeiten lassen. Schrecklicher Ort. Sie hat ihn geliebt. Sie hat es für ihn gemacht. Und sie hätte alles für ihn getan. Manche Frauen sind so. Manche Liebesbeziehungen sind so. Die meisten, soweit ich es beurteilen kann. Irgendwann fühlt sich das eigene Herz an wie ein überfülltes Rettungsboot. Damit es nicht untergeht, wirft man seinen Stolz über Bord, seine Selbstachtung, seine Unabhängigkeit. Und nach einer Weile wirft man auch Menschen über Bord – Freunde, Bekannte. Doch es reicht immer noch nicht. Das Rettungsboot sinkt weiter, und man weiß, dass es einen in die Tiefe ziehen wird. Ich habe das hier bei vielen Mädchen beobachtet. Vermutlich will ich deshalb auch nichts wissen von der Liebe.«
Ich konnte nicht beurteilen, ob sie über sich sprach, oder ob ihre Worte an mich gerichtet waren. Sie waren schneidend, und ich wollte sie nicht hören.
»Und Kavita? Wie passt die ins Bild?«
»Kavita ist super! Sie schreibt freiberuflich – das weißt du ja. Sie will Journalistin werden, und ich glaube, sie schafft das auch. Ich hoffe, dass sie es schafft. Sie ist intelligent und ehrlich und hat Power. Und außerdem sieht sie klasse aus. Findest du nicht auch, dass sie eine tolle Frau ist?«
»Doch, klar«, stimmte ich zu und dachte an Kavitas honigfarbene Augen, ihre wohlgeformten, vollen Lippen und ihre lebhaften eleganten Hände. »Sie ist sehr attraktiv. Aber ich finde, das seid ihr alle. Sogar Didier hat mit seinem verlotterten
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