Shantaram
schnüffelte.
»Ich habe eine gute Plastikfolie mitgebracht«, sagte er dann. Er warf eine schwere Folie auf den Boden und faltete sie auf. »Wir müssen ihn komplett ausziehen. Inklusive Ringe und Ketten. Wir wollen nur den Mann. Die Zähne ziehen wir ihm später.«
Er hielt inne, als ich nicht reagierte, und schaute zu mir auf, doch mein Blick war auf die beiden Frauen gerichtet. Ihre Gesichter waren starr vor Angst.
»Wie wär’s, wenn du … Weißt du was? Geh doch mal mit Ulla ins Bad und lass sie eine Dusche nehmen«, sagte ich mit einem grimmigen kleinen Lächeln zu Lisa. »Und dusch ruhig selbst auch. Das hier wird ein Weilchen dauern.«
Lisa brachte Ulla ins Badezimmer und stellte die Dusche für sie an. Wir legten Maurizio auf die Plastikplane und zogen ihn aus. Seine Haut war bleich und stumpf und an einigen Stellen grau marmoriert. Als Maurizio noch lebte, war er ein großer kräftiger Mann gewesen. Tot und nackt wirkte er dünner und schwächlicher. Ich hätte Mitleid mit ihm empfinden sollen. Selbst wenn wir für manche Menschen niemals Mitleid empfinden würden, solange sie leben, sollten wir es doch tun, wenn sie tot sind und wir sie betrachten und berühren. Mitleid ist jener Teil der Liebe, der keine Gegenleistung verlangt, und deshalb ist jede mitleidige Regung wie ein Gebet. Und tote Menschen brauchen Gebete. Das stumme Herz, der gekenterte Nachen der reglosen Brust und die erloschenen Kerzen der Augen – sie verlangen nach unseren Gebeten. Jeder Tote ist ein Tempel, der in Trümmern liegt, und wenn unsere Augen dorthin gelangen, sollten wir mitleidig sein, und wir sollten beten.
Doch ich empfand kein Mitleid für Maurizio. Du hast gekriegt, was du verdient hast, dachte ich, als wir seine Leiche in die Plastikplane rollten. Ich fühlte mich scheußlich und gemein, weil ich das dachte, aber dieser Gedanke verbreitete sich so heimtückisch in meinem Hirn wie ein mordlustiges Raunen in einem aufgebrachten Mob. Du hast gekriegt, was du verdient hast. Hassan hatte eine Art Wäschekorbwagen mitgebracht, den wir nun aus dem Flur ins Zimmer schoben. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt, und wir mussten Maurizios Beine mit Gewalt anwinkeln, damit sie in den Korb passten. Wir schafften den Korbwagen unbemerkt die zwei Stockwerke nach unten und auf die ruhige Straße hinaus, wo Hassans Lieferwagen stand. Seine Männer benutzten diesen Transporter jeden Tag, um die Läden im afrikanischen Ghetto mit Fisch, Brot, Obst, Gemüse und Kerosin zu beliefern. Wir hoben den Wagen auf die Ladefläche und bedeckten die in Plastik gehüllte Leiche mit Brotlaiben, Gemüsepaletten und abgepacktem Fisch.
»Danke, Hassan«, sagte ich, schüttelte seine Hand und gab ihm die zehntausend Dollar. Er schob sich das Geld vorne in die Jacke.
»Ach was«, polterte er mit der Bassstimme, auf die man in seinem Ghetto mit bedingungslosem Respekt reagierte. »Ich hab das gern gemacht. Und jetzt sind wir quitt, Lin. Absolut quitt.«
Er nickte Abdullah zu und machte sich auf den Weg zu seinem Auto, das er ein paar Häuser weiter geparkt hatte. Rahim beugte sich aus dem Fenster des Lieferwagens und strahlte mich an, ehe er den Motor anließ. Er fuhr fort, ohne sich noch einmal umzudrehen. Hassans Wagen folgte ihm in hundert Metern Abstand. Wir hörten nie wieder von Maurizio, nicht einmal andeutungsweise. Man munkelte, Hassan Obikwa habe mitten in seinem Slum eine große Grube. Einige behaupteten, dass sie voller Ratten sei. Andere meinten, dass es darin von Krabben wimmele. Wieder andere schworen, er halte riesige Schweine in dieser Grube. Welcher Gattung die hungrigen Tiere auch angehören mochten, sie wurden, darin waren sich alle einig, von Zeit zu Zeit mit einem Toten gefüttert. Stückchen für Stückchen.
»Das war gut angelegtes Geld«, murmelte Abdullah mit ausdrucksloser Miene, während wir dem Lieferwagen nachsahen.
Wir kehrten in die Wohnung zurück und reparierten die Schlösser, damit die Tür sicher verschlossen werden konnte, wenn wir alle gingen. Abdullah rief einen anderen Verbindungsmann an und veranlasste, dass am nächsten Tag zwei vertrauenswürdige Männer in die Wohnung kamen. Sie sollten eine Säge mitbringen, die Couch zersägen und in Müllsäcken fortschaffen. Außerdem sollten sie den Teppich reinigen, aufräumen und die Wohnung so hinterlassen, dass von ihren letzten Bewohnerinnen keinerlei Spuren mehr zu finden waren.
Kaum hatte er das Gespräch beendet, klingelte das Telefon. Sein
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