Shantaram
Liebesleben wieder im dicht gedrängten Slum stattfinden musste. Vikram und Lettie waren unterdessen schon in London und bereiteten sich darauf vor, das Ehegelübde zu wiederholen, das meinem Cowboy-Freund so viel bedeutete. Und ich saß im Sessel, vollständig bekleidet und alleine. Und vertraute Karla nicht, wie Vikram gesagt hatte, weil ich mir selbst nicht vertraute. Irgendwann schlief ich ein, und die Karte mitsamt der Augenbinde entglitt meinen Fingern.
Nach dieser Nacht bemühte ich mich drei Wochen lang, die Einsamkeit abzuschütteln, die drei glückliche Hochzeiten aus meinem Herzen gezerrt hatten, indem ich jeden Job annahm, den man mir anbot, und jedes Geschäft durchzog, das mir in den Sinn kam. Ich schmuggelte Pässe nach Kinshasa und stieg, wie abgesprochen, im Lapierre Hotel ab, einem ziemlich heruntergekommenen dreistöckigen Gebäude in einer Parallelstraße zur langen Hauptstraße von Kinshasa. Die Matratze war sauber, aber Fußboden und Wände schienen aus Sargholz zu bestehen. Der modrige Grabgeruch war penetrant, und durch die stickige Luft im Raum hatte ich einen merkwürdigen muffigen Geschmack auf der Zunge, den ich mit vielen Gitanes und belgischem Whisky zu vertreiben versuchte. Rattenfänger stapften durch die Flure, Säcke hinter sich her zerrend, die vor fetten zappelnden Nagern beinahe zu platzen schienen. In den Schubladen meiner Kommode hatten sich Kolonien von Kakerlaken angesiedelt, weshalb ich Kleider, Kulturbeutel und persönliche Dinge an Haken und dicke krumme Nägel hängte, die man praktischerweise in jede halbwegs stabile Stelle der Wand gehämmert hatte.
In der ersten Nacht fuhr ich aus meinem leichten Schlaf hoch, weil ich im Flur Schüsse hörte, gefolgt von einem dumpfen Plumps, als würde ein Körper fallen. Dann waren schlurfende Schritte zu vernehmen, als jemand etwas Schweres rückwärts über den Holzboden im Flur schleifte. Mir brach der Schweiß aus, als ich mein Messer umklammerte und die Tür öffnete. Aus drei anderen Zimmern sah ich ebenfalls Männer herausspähen, offenbar Europäer. Zwei hielten eine Pistole in der Hand, der dritte ein Messer wie ich. Wir sahen uns an und blickten dann auf die Blutspur, die sich durch den gesamten Flur zog. Dann, wie auf ein geheimes Zeichen hin, schlossen wir alle stumm die Tür.
Nach diesem Auftrag übernahm ich einen Job im Inselstaat Mauritius, wobei mein Hotel dort, das Mandarin in Curepipe, einen erfreulichen Kontrast zu meiner Unterkunft in Kinshasa bot. Es war wie ein schottisches Schloss mit Türmchen gestaltet, dem man sich durch einen gepflegten englischen Garten näherte. Die Innenräume allerdings waren von den neuen Besitzern, einer chinesischen Familie, in überladenem Kaiserstil eingerichtet worden. Im rötlichen Licht von Lampions speiste ich unter riesigen Feuer speienden Drachen chinesischen Brokkoli, Zuckererbsen, Knoblauchspinat, gebratenen Tofu und Pilze in Soße mit schwarzen Bohnen und blickte dabei durchs Fenster auf Zinnen, gotische Spitzbögen, Rosenstöcke und Formsträucher.
Meine Kontaktmänner, zwei auf Mauritius lebende Inder aus Bombay, trafen wie abgesprochen in einem gelben BMW ein. Ich stieg hinten ein und hatte kaum guten Tag gesagt, als der Fahrer Gas gab und mit einem derartigen Tempo losraste, dass ich quer über den Rücksitz flog. Dann bretterten die Typen eine volle Viertelstunde wie die Wahnsinnigen über irgendwelche Nebenstraßen, bis sie schließlich in einem stillen Waldstück anhielten. Der überhitzte Motor kühlte mit klackenden Geräuschen ab. Die beiden Typen rochen durchdringend nach Rum.
»Okay, jetzt mal her mit unseren Papieren«, sagte der Fahrer der beiden und drehte sich zu mir um.
»Hab ich nicht«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
Die beiden warfen sich einen Blick zu und schauten dann wieder zu mir. Der Fahrer schob seine verspiegelte Sonnenbrille hoch. Seine Augen sahen aus, als bewahrte er sie nachts in einem Glas braunem Essig neben seinem Bett auf.
»Du hast die Pässe nicht hier?«
»Nein. Ich habe versucht, euch das auf dem Weg hierher zu sagen – wo auch immer wir hier stecken –, hab aber immer nur bleib cool, bleib cool von euch zu hören gekriegt, ohne dass mir mal einer zugehört hätte. Ist das hier jetzt cool genug, oder wie?«
»Kein bisschen, Mann«, sagte der Beifahrer.
Ich sah mich selbst in den verspiegelten Brillengläsern und fand, dass ich gar nicht froh aussah.
»Ihr seid hirnlose Idioten!«, raunzte ich die beiden auf
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