Shantaram
berüchtigten Mafia-Don assoziiert zu werden, und der Khan selbst war durchaus nicht unempfänglich für den Glanz und Glamour der Filmwelt. Als ich Chandra Mehta zwei Wochen vor Prabakers Hochzeitstermin wegen der Tänzerinnen angesprochen hatte, hatte er vermutet, dass es sich um die Heirat eines von Khaderbhai hochgeschätzten Goonda handelte. Weshalb er sich besondere Mühe gegeben hatte, jede Tänzerin einzeln ausgewählt und eine Band aus seinen besten Studiomusikern zusammengestellt hatte, sodass die Show auch den Boss des heißesten Nachtclubs von Bombay begeistert hätte. Die Band spielte eine Auswahl der beliebtesten Songs der Saison, und die Mädchen tanzten die erotische Bedeutung jeder Liedzeile. Einige der tausend Nachbarn und Gäste bei der Hochzeit im Slum fanden das zwar etwas anstößig, aber die Meisten waren entzückt über die Schamlosigkeit – nicht zuletzt Prabaker und Johnny. Und angesichts der unverblümten Schlüpfrigkeit der unzensierten Version dieser Tänze wurde mir erstmals die Bedeutung mancher Geste aus den Bollywood-Filmen bewusst.
Ich schenkte Johnny Cigar fünftausend US-Dollar zur Hochzeit. Davon konnte er sich eine kleine Hütte im Navy-Nagar-Slum kaufen, unweit der Stelle, wo er zur Welt gekommen war. Der Nagar war ein legaler Slum, und wenn er die Hütte besaß, musste er nie mehr fürchten, vertrieben zu werden, sondern konnte von dort aus in Ruhe seine Tätigkeit als inoffizieller Buchhalter und Steuerberater für Hunderte von Arbeitern und kleinen Unternehmen in den angrenzenden Slums ausüben.
Prabaker schenkte ich den Fahrzeugschein für sein Taxi. Der Besitzer des kleinen Taxiunternehmens hatte mir den Wagen unter allerhand wüsten Beschimpfungen in einer beinharten Verhandlung verkauft. Ich hatte am Ende zu viel bezahlt für Taxi und Lizenz, aber es war mir einerlei. Schwarzgeld rinnt schneller durch die Finger als ehrlich erworbenes Geld. Wenn wir keine Achtung aufbringen für die Art, wie wir Geld erwerben, hat es keinen Wert. Wenn wir Geld nicht dafür nutzen können, das Leben unserer Lieben zu verbessern, hat es keinen Zweck. Um die Tradition zu wahren, verdammte ich den Besitzer des Unternehmens dennoch bei unserem Abschluss mit jenem höflichsten und abscheulichsten aller indischen Geschäftsflüche – Mögest du zehn Töchter haben, und mögen sie alle eine gute Partie machen! –, denn dabei würden Aussteuerverpflichtungen anfallen, die so gut wie jedes Vermögen erschöpfen.
Prabaker freute sich so sehr über das Geschenk, dass er seine Rolle als würdevoller Ehemann vergaß und in wildes Jubelgeheul ausbrach. Er sprang auf und gab eine kurze Einlage seines hemmungslosen Sextanzes, bevor er sich an die Ernsthaftigkeit der Situation erinnerte und sich wieder feierlich neben seiner Braut niederließ. Ich begab mich in den wilden tobenden Dschungel aus Männerleibern vor der Empore und tanzte, bis mein dünnes Hemd mir am Körper klebte wie Meeresalgen im seichten Wasser.
Als ich an diesem Abend in meine Wohnung zurückkehrte, lächelte ich bei dem Gedanken daran, wie anders Vikrams Hochzeit ausgesehen hatte. Zwei Tage bevor Prabaker und Johnny ihre Schwester-Bräute zur Frau genommen hatten, war Vikram mit Lettie vermählt worden. Gegen den leidenschaftlichen, bisweilen sogar aggressiven Widerstand seiner Familie hatte Vikram auf einer standesamtlichen Trauung bestanden. Auf die Bitten und Tränen seiner Lieben hatte er unerschütterlich mit derselben formelhaften Phrase reagiert: Wir leben im modernen Indien, yaar. Nur wenige Familienmitglieder brachten es übers Herz, sich der öffentlichen Schmähung der traditionsreichen prunkvollen hinduistischen Hochzeit anzuschließen, die sie so lange für ihn geplant hatten. Am Ende fanden sich außer dem kleinen Kreis von Letties Freunden nur Vikrams Mutter und seine Schwester ein, um mitzuerleben, wie Braut und Bräutigam gelobten, sich zu lieben und zu achten bis ans Ende ihrer Tage. Es gab keine Musik, keine leuchtenden Farben, keinen Tanz. Lettie trug ein goldbraunes Kostüm und einen breiten goldenen Strohhut mit Organdyrosen, Vikram einen schwarzen Dreiviertelmantel, schwarze Gauchohosen mit Silberlitzen, eine schwarzweiße Brokatweste und seinen heiß geliebten Hut. Die Zeremonie war nach wenigen Minuten vorbei, und danach geleiteten Vikram und ich seine vor Gram geschwächte Mutter zu ihrem wartenden Wagen.
Am Tag darauf fuhr ich Vikram und Lettie zum Flughafen. Sie wollten die Trauung in London noch
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