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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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bei«, antwortete der mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    »Nein, Mann, tu ich nicht«, widersprach Mehta. »Das hat sich direkt vor meinem verdammten Büro abgespielt, yaar. Wenn zehntausend Leute vor deinem verdammten Büro schreien, dass sie dich umbringen wollen, soll ich dem etwa keine Bedeutung beimessen?«
    »Sie haben doch nicht dich persönlich gemeint, Chandrababu.«
    »Stimmt, aber sie wollen mich und meinesgleichen drankriegen. Komm, gib es zu: Dir macht es nichts aus, weil du nicht davon betroffen bist. Deine Familie stammt aus Goa, ihr sprecht Konkani. Konkani und Marathi sind ziemlich verwandt. Und du sprichst Marathi so gut wie Englisch, wohingegen ich kein einziges Wort Marathi kann. Aber ich bin hier geboren, yaar, genau wie mein Vater. Er hat sein Unternehmen hier in Bombay. Wir zahlen Steuern hier. Meine Kinder gehen hier zur Schule. Mein ganzes Leben spielt sich in Bombay ab, Mann. Aber die schreien Maharashtra den Marathi und wollen uns aus der einzigen Heimat vertreiben, die wir haben.«
    »Du solltest auch mal versuchen, es aus ihrer Perspektive zu betrachten«, wandte Cliff ein.
    »Meine Vertreibung aus deren Blickwinkel betrachten?«, erwiderte Mehta so laut, dass Gäste an anderen Tischen herüberblickten. Leiser, aber nicht minder vehement, fuhr er fort: »Du willst mir wirklich sagen, ich soll meine Ermordung aus deren Blickwinkel betrachten?«
    »Mein Freund, ich liebe dich wirklich von Herzen, so sehr wie meinen dritten Schwager«, sagte Cliff grinsend. Mehta lachte, und die Mädchen stimmten in das Lachen ein, sichtlich erleichtert, dass sich die Stimmung am Tisch durch den kleinen Scherz entspannte. »Ich möchte ganz gewiss nicht, dass jemandem Leid angetan wird, am allerwenigsten dir, Chandrabhai. Ich will dir nur vermitteln, dass es sinnvoll ist, ihren Blickwinkel einzunehmen, um zu begreifen, worum es geht. Die Muttersprache dieser Menschen ist Marathi. Sie sind hier in Maharashtra geboren. Ihre Großväter, ihre Vorfahren … wer weiß, vielleicht zurück bis vor dreitausend Jahren, wurden hier geboren. Und dann schauen sie sich in Bombay um und stellen fest, dass die Unternehmen und Geschäfte Menschen aus anderen Teilen von Indien gehören. Menschen, die auch sonst die besten Jobs haben. Das treibt sie zum Wahnsinn. Und ich finde, damit haben sie nicht ganz unrecht.«
    »Und was ist mit den Jobs, die für Marathi-Sprecher reserviert werden?«, widersprach Mehta. »Die Post, die Polizei, die Schulen, die Staatsbank und viele andere Institutionen halten das doch so, der öffentliche Verkehr zum Beispiel. Aber das genügt diesen Irren ja nicht. Die wollen uns alle aus Bombay und Maharashtra vertreiben. Aber ich sage dir, wenn sie das schaffen, dann wird ihnen das Geld, das Talent und die Intelligenz fehlen, die diesen Ort zu dem machen, was er ist.«
    Cliff de Souza zuckte die Achseln.
    »Vielleicht sind sie bereit, diesen Preis zu bezahlen – nicht, dass ich ihrer Ansicht wäre. Ich denke nur, dass Leute wie dein Großvater, die mit nichts aus Uttar Pradesh kamen und hier ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut haben, dem Staat etwas schulden. Diejenigen, die alles haben, sollten denen, die nichts haben, etwas abgeben. Die Leute, die du Fanatiker nennst, finden nur Gehör, weil ihre Aussage ein Körnchen Wahrheit enthält. Die Leute sind zornig, und sie geben denjenigen die Schuld, die von außerhalb gekommen sind und hier ihr Glück gemacht haben. Und es wird noch schlimmer kommen, mein lieber dritter Schwager. Ich möchte lieber nicht darüber nachdenken, wo das alles hinführen wird.«
    »Was meinst du, Lin?«, wandte sich Chandra Mehta an mich, Unterstützung heischend. »Du sprichst Marathi. Du lebst hier, aber du bist ein Fremder. Wie denkst du darüber?«
    »Ich habe in einem kleinen Dorf namens Sunder Marathi gelernt«, gab ich zur Antwort. »Die Menschen dort sprechen fast nur Marathi, wenig Hindi, gar kein Englisch. Fünfzig Generationen haben dort das Land bebaut, und ihre Vorfahren lebten schon vor mindestens zweitausend Jahren dort.«
    Ich hielt inne, um abzuwarten, ob jemand etwas dazu sagen wollte, aber alle aßen und hörten aufmerksam zu. Ich fuhr fort:
    »Als ich mit meinem Führer Prabaker von dort zurückkam, lebte ich mit ihm und fünfundzwanzigtausend anderen Menschen im Slum. Viele von ihnen sind wie Prabaker Marathen, die aus Dörfern wie Sunder hierherkamen. Im Slum bereitet jede Mahlzeit endlose Sorge und muss unter qualvollen Mühen erarbeitet

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