Shantaram
ersten Einblick in den einträglichen Schmuggel mit Duty-Free-Kameras und Elektrogeräten von Singapur nach Bombay.
Als ich Abdul Ghani die Dollars ausgehändigt und meine Prämie eingestrichen hatte und zum Oberoi Hotel fuhr, um mich dort mit Lisa Carter zu treffen, war ich zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit gut gelaunt und hoffnungsvoll. Vielleicht war es mir wirklich gelungen, die düstere Stimmung loszuwerden, in die ich nach Prabakers Hochzeit geraten war. Ich war mit gefälschten Pässen nach Zaire, Mauritius und Singapur gereist, ohne den geringsten Verdacht zu erregen. Im Slum hatte ich mich mühsam mit kleinen Aufträgen für Touristen über Wasser gehalten und nur meinen mangelhaften neuseeländischen Pass besessen. Und nur ein Jahr später wohnte ich in einer modernen Wohnung, meine Taschen quollen förmlich über von unrechtmäßig erworbenen Geldmitteln, und ich besaß fünf Pässe mit unterschiedlichen Namen und unterschiedlicher Herkunft, allesamt mit meinem Foto versehen. Die Welt stand mir offen.
Das Oberoi Hotel liegt am Nariman Point, am Griff der goldenen Sichel des Marine Drive. Churchgate Station und Flora Fountain sind von hier aus zu Fuß in fünf Minuten zu erreichen, und von der Flora Fountain aus kommt man in zehn Minuten nach Colaba zum Gateway Monument. Das Oberoi war kein Postkartenmotiv wie das Taj Mahal Hotel, hatte aber Charakter und Atmosphäre. Die Pianobar war ein kleines Kunstwerk aus Licht und sorgfältig arrangierten Nischen, und die Brasserie wetteiferte mit anderen um den Rang des besten Restaurants von Bombay. Als ich aus dem grellen Tageslicht in die schummrige Brasserie mit ihren dunklen Möbeln trat, musste ich erst warten, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bevor ich Lisa entdeckte. Sie war in Gesellschaft – von Cliff de Souza, Chandra Mehta und zwei jungen Frauen.
»Ich hoffe, ich bin nicht zu spät«, sagte ich und schüttelte allen die Hand.
»Nein, ich glaube, wir waren alle zu früh«, dröhnte Chandra Mehta.
Die Mädchen kicherten. Sie hießen Reeta und Geeta und waren angehende Schauspielerinnen, die durch dieses Treffen mit zweitrangigen Männern aus dem Filmgewerbe dabei waren, die erste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. Sie beobachteten das Geschehen aufgeregt und mit großen Kulleraugen.
Ich ließ mich auf dem freien Stuhl zwischen Lisa und Geeta nieder. Lisa trug einen schwarzen Seidenblazer über einem dünnen lavaroten Pullover und einen Rock. Geeta, ein hübsches Mädchen um die zwanzig mit langem Pferdeschwanz, steckte in weißen Jeans und einem silbernen Spandextop; beide Kleidungsstücke waren eng genug, um keine Zweifel an ihrem Körperbau offen zu lassen. Sie spielte nervös mit ihrer Serviette. Reeta hatte kurze Haare, die ihr zartes knabenhaftes Gesicht unterstrichen, und trug eine gelbe Bluse mit tiefem Dekolleté und Blue Jeans. Die Anzüge von Cliff und Chandra ließen darauf schließen, dass beide von einem wichtigen Geschäftstermin kamen oder diesen noch vor sich hatten.
»Ich habe einen Bärenhunger«, verkündete Lisa munter. Ihre Stimme klang entspannt, aber sie drückte meine Hand unter dem Tisch so fest, dass sich mir ihre Fingernägel ins Fleisch bohrten. Für sie war dieses Treffen entscheidend. Sie wusste, dass Mehta uns anbieten wollte, offiziell in die Casting-Firma einzusteigen, die wir bislang auf eigene Faust betrieben. Lisa war versessen auf diesen Vertrag, auf die Sicherheit, die ihr nur ein Vertrag verschaffen konnte. Sie wollte ihre Zukunft schwarz auf weiß sehen. »Lasst uns was essen!«
»Was meint ihr – soll ich vielleicht für uns alle bestellen?«, schlug Chandra vor.
»Solange du zahlst, hab ich nichts dagegen«, verkündete Cliff und zwinkerte den Mädchen zu.
»Klar, nur zu«, sagte ich.
Chandra zitierte den Kellner mit einem Blick herbei, lehnte die Speisekarte ab und stellte das Menü nach seinen Vorlieben zusammen: als Vorspeise eine weiße Suppe mit Lamm und blanchierten Mandeln, danach gegrilltes Hähnchen, mariniert in Cayennepfeffer, Kumin und Mangosaft mit etlichen Beilagen und zum Dessert Obstsalat, Kachori Balls und Kulfi-Eis.
Angesichts von Mehtas Bestellung wurde wohl allen bewusst, dass es sich um ein ausgedehntes Mahl handeln würde. Ich entspannte mich und gab mich ganz der Unterhaltung und dem Genuss des guten Essens hin.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie du darüber denkst«, sagte Mehta zu Cliff de Souza.
»Du misst dem Ganzen zu viel Bedeutung
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