Shantaram
waren die Jalousien heruntergelassen. Rajubhai, von dem bekannt war, dass er tagaus, tagein in seinem Zählhaus in Fort saß, besuchte eine kranke Verwandte in Delhi. Sogar die Bosse und Leutnants zweiten Ranges waren verreist oder einfach unauffindbar.
Die anderen, die vor Ort geblieben waren – die Goldagenten, Schwarzgeldkuriere und Dokumentenfälscher – waren höflich und freundlich. An ihren Arbeitsabläufen schien sich nichts geändert zu haben. Auch meine Arbeit blieb unberührt von den Ereignissen. In Lagern, Wechselstuben, Juweliergeschäften und anderen Teilen von Khaders Imperium wurde ich wie immer erfreut empfangen. Bei Goldhändlern, Geldwechslern und den Schwarzhändlern, die Pässe stahlen und kauften, waren Anweisungen für mich hinterlassen worden. Ich war mir nicht sicher, ob ich das als Kompliment für mich verstehen sollte – dass man mir zutraute, auch in Abwesenheit des Rates zu funktionieren – oder ob man mich für einen bedeutungslosen Teil der Organisation hielt, dem man keine Erklärung schuldete.
In jedem Fall fühlte ich mich entsetzlich einsam. Ich hatte binnen einer Woche meine engsten Freunde, Prabaker und Abdullah, verloren, und mit ihnen die Markierung auf der psychischen Landkarte, die einem sagt: Du bist hier. Die eigene Persönlichkeit und Identität sind in gewisser Weise wie Koordinaten auf der Landkarte unserer Beziehungen. Wir wissen, wer wir sind, und wir definieren, wie wir sind, durch den Bezug zu den Menschen, die wir lieben – und unseren Gründen für die Liebe zu ihnen. Ich war dieser Punkt in Zeit und Raum, an dem Abdullahs gewalttätige Wildheit und Prabakers fröhliche Sanftheit sich trafen. Durch ihren Tod war ich orientierungslos und undefiniert und stellte unangenehm überrascht fest, wie sehr ich mich indessen auch an Khader und den Rat gebunden fühlte. Ich glaubte, mein Kontakt mit diesen Männern sei eher flüchtiger Natur, doch nun fehlte mir die Sicherheit, die ich aus ihrer Anwesenheit in der Stadt bezog, beinahe ebenso sehr wie die Nähe meiner toten Freunde.
Und ich war wütend. Ich brauchte eine Weile, um diese Wut zu begreifen und zu merken, dass Khaderbhai ihr Auslöser und auch ihr Ziel war. Ich gab ihm die Schuld an Abdullahs Tod; er hatte meinen Freund nicht beschützt und nicht gerettet. Ich konnte einfach nicht glauben, dass Abdullah, mein geliebter Freund, der blutrünstige Wahnsinnige Sapna sein sollte. Allerdings war ich sehr wohl bereit zu glauben, dass Abdel Khader Khan in irgendeiner Weise mit Sapna und den Morden zu tun hatte. Außerdem empfand ich sein Verschwinden als eine Form von Verrat. Es kam mir vor, als habe er mich verlassen, damit ich alleine mit allem fertig werden musste. Was natürlich ein alberner Gedanke war, der außerdem von Hybris zeugte. Tatsächlich hielten sich noch Hunderte von Khaders Männern in Bombay auf, und mit vielen von ihnen kam ich täglich in Kontakt. Dennoch fühlte ich mich verlassen und verraten. Im Innersten meiner Gefühle für den Khan begann sich Kälte auszubreiten, geboren aus Wut, Angst und Zweifeln. Ich liebte Khaderbhai noch immer, fühlte mich ihm verbunden wie ein Sohn dem Vater, aber er war nicht mehr mein erhabener, verehrter Held.
Ein Mudjahedin-Kämpfer sagte mir einmal, das Schicksal halte für jeden drei Lehrer, drei Freunde, drei Feinde und drei große Lieben bereit. Doch jene zwölf seien stets maskiert, und wir könnten sie nur erkennen, wenn wir sie liebten, sie verließen oder gegen sie kämpften. Khader war einer meiner zwölf, doch seine Maske war immer perfekt. In jenen zornigen einsamen Tagen, in denen mein verletztes Herz in eine dumpfe Verzweiflung humpelte, begann ich ihn als meinen Feind zu betrachten; meinen geliebten Feind.
Und mit jedem Deal, mit jedem kriminellen Akt und mit jedem Tag stolperten mein Wille, mein Antrieb, meine Hoffnung näher auf die Grube zu. Lisa Carter trieb ihren Vertrag mit Chandra Mehta und Cliff de Souza weiter voran und bekam ihn schließlich. Um ihretwillen nahm ich an dem Treffen teil, in dem der Vertrag festgeklopft wurde, und unterzeichnete als ihr Partner. Für die Produzenten war meine Beteiligung entscheidend. Ich war ihr sicherer Zugang zum Schwarzgeld der Khader-Khan-Mafia – eine noch nicht angezapfte und quasi unerschöpfliche Quelle. Sie erwähnten diesen Zusammenhang damals noch nicht, aber er spielte eine Schlüsselrolle in ihrer Entscheidung, sich mit Lisa auf einen Vertrag einzulassen. In dem Vertragswerk stand, dass
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