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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Lisa und ich junge ausländische Künstler – wie die Kleindarsteller genannt wurden – für drei große Studios casten sollten. Die Konditionen für Aufträge und Bezahlung wurden für zwei Jahre im Voraus festgelegt.
    Nach dem Treffen begleitete Lisa mich zu meinem Motorrad, das ich am Marine Drive an der Mauer abgestellt hatte. Wir setzten uns auf die Mauer, genau an die Stelle, wo Abdullah mir die Hand auf die Schulter gelegt hatte, als ich in der Tiefe des Meeres verschwinden wollte. Wir waren einsam, Lisa und ich, und zu Anfang sprachen wir wie einsame Menschen miteinander – in Splittern von Anklagen und von Gesprächen, die wir bereits mit uns alleine geführt hatten.
    »Er wusste, was kommen würde«, sagte sie nach langem Schweigen. »Deshalb hat er mir den Geldkoffer gegeben. Wir haben darüber geredet. Er hat darüber geredet. Er hat davon gesprochen, dass man ihn umbringen würde. Weißt du Bescheid über den Krieg im Iran? Den Krieg mit dem Irak? Da ist er ein paar Mal beinahe umgekommen. Das hat ihn nicht mehr losgelassen, ich bin mir ganz sicher. Ich glaube, dass er sterben wollte, weil er vor dem Krieg davongelaufen ist und seine Freunde und seine Familie zurückgelassen hat. Und wenn es sein musste, falls es sein musste, dann wollte er wenigstens so enden.«
    »Kann sein«, antwortete ich und schaute über das erhabene gleichgültige Meer. »Karla hat einmal gesagt, dass wir alle mehrmals im Leben versuchen, uns umzubringen, und irgendwann schaffen wir es auch.«
    Lisa lachte, weil das Zitat sie überraschte, aber das Lachen endete mit einem tiefen Seufzer. Sie legte den Kopf in den Nacken und ließ den Wind in ihrem Haar spielen.
    »Die Geschichte mit Ulla«, sagte sie leise. »Die macht mich völlig fertig, Lin. Ich kann einfach nicht aufhören, an Modena zu denken. Ich durchsuche jeden Tag die Zeitung nach Hinweisen – dass sie ihn vielleicht gefunden haben oder so. Es ist so absurd … die Sache mit Maurizio, weißt du, das hat mich wochenlang ganz krank gemacht. Ich musste ständig weinen, egal ob ich gerade auf der Straße war oder ein Buch las oder schlafen wollte. Und wenn ich etwas essen wollte, war mir immer übel. Ich sah immer seine Leiche vor mir … und das Messer … wie es sich angefühlt haben muss, als Ulla ihn mit dem Messer durchbohrt hat … Aber inzwischen habe ich mich einigermaßen beruhigt. Diese Gefühle sind immer noch da, irgendwo tief im Bauch, aber sie machen mir keine Angst mehr. Und sogar Abdullah – ich weiß nicht, ob ich unter Schock stehe und verdränge oder so, aber ich … erlaube mir einfach nicht, an ihn zu denken. Es ist, als … würde ich es einfach akzeptieren oder so. Aber Modena – das wird schlimmer. Ich kann überhaupt nicht aufhören, an ihn zu denken.«
    »Ich sehe ihn auch immer vor mir«, murmelte ich. »Ich sehe sein Gesicht, und dabei war ich nicht mal dabei in diesem Hotelzimmer. Das ist gar nicht gut.«
    »Ich hätte sie zusammenschlagen sollen.«
    »Wen, Ulla?«
    »Ja, Ulla!«
    »Warum?«
    »Diese … gefühllose … Schlange! Sie hat ihn da liegen lassen, gefesselt. Sie hat dir Unglück gebracht und mir und … Maurizio … Aber als sie uns von Modena erzählt hat, hab ich bloß den Arm um sie gelegt und sie ins Bad geführt und mich um sie gekümmert, als hätte sie mir grade erzählt, dass sie vergessen hat, ihren Goldfisch zu füttern. Ich hätte sie wenigstens ohrfeigen oder ihr einen Kinnhaken versetzen oder sie in den Arsch treten sollen oder irgendwas. Jetzt ist sie nicht mehr da, und ich flippe aus wegen Modena.«
    »Manche Menschen sind so«, sagte ich, über ihren Zorn lächelnd, den ich auch in mir spürte. »Manchen Menschen gelingt es einfach, dass wir sie bedauern, auch wenn wir uns hinterher dumm vorkommen und wütend auf uns selbst sind. Sie sind so was wie Kanarienvögel in den Kohlenbergwerken unseres Herzens. Wenn wir sie nicht mehr bedauern, obwohl sie uns geschadet haben, geht es uns schlecht. Und ich hab mich übrigens nicht eingemischt, um ihr zu helfen. Sondern dir.«
    »Ich weiß, ich weiß«, seufzte sie. »Ulla trifft im Grunde auch keine Schuld. Nicht wirklich. Der Palace hat sie einfach fertiggemacht. Sie ist da irgendwie langsam durchgedreht. Das ist allen passiert, die für Madame Zhou gearbeitet haben. Du hättest Ulla mal ganz am Anfang erleben sollen, als sie anfing dort zu arbeiten. Sie sah fantastisch aus, kann ich dir sagen. Und dabei wirkte sie auf eine Art unschuldig, wie wir anderen es nicht

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