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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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du, Lin. Ich habe nichts gelernt. Aber das … das könnte wirklich eine große Sache werden. Ich könnte … ich weiß nicht, ich könnte vielleicht eines Tages selbst Filme produzieren. Ich könnte … etwas Gutes tun.«
    »Du bist gut. Du wirst überall Gutes tun, so oder so.«
    »Nein. Das ist meine große Chance. Ich gehe nicht zurück – und auch sonst nirgendwohin –, bevor ich nicht versucht habe, hier was auf die Beine zu stellen. Wenn ich das nicht tue, wenn ich es nicht ausprobiere, dann war alles umsonst. Maurizio … und alles, was passiert ist, war dann umsonst. Wenn ich von hier weggehe, dann hocherhobenen Hauptes und mit einer Tasche voller Geld, die ich selbst verdient habe.«
    Ich blickte in den Wind, spürte den Tag warm und kühl und wieder warm, im Gesicht und an den Armen, wenn der Wind über der Bucht drehte und zurückkehrte. Eine kleine Flotte Fischerkanus trieb vorbei, auf dem Weg zur sandigen Bucht beim Slum. Und ich dachte an den Tag im Regen, als ich im Kanu über den überfluteten Vorplatz des Taj Mahal Hotels getrieben war und durch das gewaltige hallende Gateway Monument. Ich dachte an Vinods Liebeslied und den Regen an dem Abend, an dem Karla in meine Arme kam.
    Ich starrte auf die unermüdlichen ewigen Wellen und dachte an alles, was ich seit jener regnerischen Nacht erlitten hatte: Gefängnis, Folter, Karla war verschwunden, Ulla war verschwunden, Khaderbhai und der Rat waren ebenso verschwunden wie Anand, Maurizio war tot, Modena vermutlich auch. Rashid war tot, Abdullah war tot und Prabaker – das konnte nicht sein – auch Prabaker war tot. Und ich war einer von ihnen: Ich bewegte mich und sprach und starrte auf die tobenden Wellen, doch mein Herz war so tot wie das meiner Freunde.
    »Und du?«, fragte Lisa. Ich spürte, dass sie mich ansah, und hörte die Gefühle in ihrer Stimme: Mitgefühl, Zärtlichkeit, vielleicht sogar Liebe. »Wenn ich bleibe – und ich werde auf jeden Fall bleiben –, was wirst du dann tun?«
    Ich sah sie eine Weile an, deutete die Runen in den Augen, die so blau waren wie der Himmel. Dann stand ich auf, nahm sie in die Arme und küsste sie. Es war ein langer Kuss. Wir durchlebten ein ganzes Leben in diesem Kuss: Wir lebten und liebten uns, wir wurden zusammen alt, und wir starben. Dann lösten sich unsere Lippen voneinander, und das Leben, das vielleicht unseres gewesen wäre, zog sich zurück, schrumpfte zu einem kleinen Funken Licht, den wir in den Augen des anderen immer wiederfinden würden.
    Ich hätte sie lieben können. Vielleicht liebte ich sie sogar schon ein bisschen. Aber manchmal kann man einer Frau nichts Schlimmeres antun, als sie zu lieben. Und ich liebte Karla noch immer. Ich liebte Karla.
    »Und ich?«, wiederholte ich ihre Frage. Ich hielt sie an den Schultern auf Armeslänge von mir entfernt. »Ich werde mich zudröhnen.«
    Ich fuhr weg, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich bezahlte die Miete für meine Wohnung für drei Monate im Voraus und gab dem Wachmann am Parkplatz und dem Wachmann im Haus ein ordentliches Trinkgeld. Ich steckte mir einen guten falschen Ausweis in die Tasche und verstaute die restlichen Pässe und ein Bündel Geldscheine in einem Beutel, den ich mitsamt meiner Enfield Bullet in Didiers Obhut gab. Dann nahm ich mir ein Taxi zu Gupta-jis Opiumhöhle unweit der Straße der Zehntausend Huren, Shoklaji Street. Ich stieg die abgetretenen Treppenstufen bis zum dritten Stock hinauf und betrat den Käfig, den Fixer sich aus einer schimmernden scharfkantigen Stahlstange nach der anderen selbst errichten.
    Gupta-ji brachte seine Opiumraucher in einem großen Raum mit zwanzig Matratzen und hölzernen Kopfstützen unter. Für solche mit speziellen Wünschen gab es eine Reihe von Hinterzimmern. Durch eine schmale Tür betrat ich einen Gang, der so niedrig war, dass ich fast in die Hocke gehen musste, um nicht an die Decke zu stoßen. Das Zimmer, das ich mir aussuchte, war ausgestattet mit einer Pritsche, auf der eine Kapokmatratze lag, einem abgewetzten Teppich, einem kleinen Schrank mit Korbtüren, einer Lampe mit Seidenschirm und einer großen mit Wasser gefüllten Matka. An drei Seiten waren die Holzwände mit Schilfgrasmatten bedeckt. Durch die Fenster in der vierten Wand am Kopfende des Bettes konnte man auf eine belebte Straße hinunterblicken, in der arabische und einheimische muslimische Händler ihren Geschäften nachgingen, doch jetzt drangen nur vereinzelt helle Lichtstrahlen durch die Lücken und Risse in den

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