Shantaram
besser ist als gegeneinander kämpfen, ist, gegen … wie sagt man … Invasoren kämpfen. Sie werden Russen besiegen, klar, aber danach werden weiterkämpfen.«
»Die Pakistanis wollen sichergehen, dass sie den Frieden gewinnen, nachdem die Afghanen den Krieg gewonnen haben«, ergänzte Ahmed. »Einerlei, wer für sie den Krieg gewinnt, im Frieden wollen sie an der Macht sein. Wenn sie könnten, würden sie uns alle Waffen und Medikamente und den anderen Nachschub wegnehmen und ihren Leuten geben …«
»Opportunisten«, murmelte Khaled, und sein New Yorker Akzent machte sich bemerkbar. »Hey, hört ihr das?«
Wir horchten alle. Gesang und Musik von außerhalb der Moschee drang an unser Ohr.
»Sie haben angefangen«, raunte Khaled und sprang geschmeidig auf die Füße. »Gehen wir.«
Wir folgten ihm durch die Moschee und nahmen unsere Schuhe wieder in Empfang. Draußen, in der einsetzenden Dämmerung, näherten wir uns der Musik.
»Das … diesen Gesang habe ich schon mal gehört«, sagte ich zu Khaled, der neben mir ging.
»Du kennst die Blinden Sänger?«, fragte er. »Ach ja, natürlich. Du warst ja bei Abdel Khader, in Bombay, als sie für uns gesungen haben. Damals habe ich dich zum ersten Mal gesehen.«
»Du warst auch da an dem Abend?«
»Klar. Wir alle waren da: Ahmed, Mahmud und Siddiqi – ihn wirst du noch kennen lernen. Viele von den Männern, die jetzt mitkommen. Die waren alle da. Es war ja das erste Treffen für die Afghanistan-Mission. Deshalb haben wir uns damals getroffen. Das war der Anlass. Wusstest du das nicht?«
Khaled lachte, als er mir diese Frage stellte, und sein Tonfall war so offen und aufrichtig wie immer, aber seine Worte durchfuhren mich dennoch wie ein Messerstich. Wusstest du das nicht? Wusstest du das nicht?
Khaled hat diese Mission seit damals geplant, dachte ich, schon am ersten Abend, als ich ihn kennen lernte. Ich sah den großen verrauchten Raum mit absoluter Klarheit vor mir, in dem die Blinden Sänger vor ihrem Privatpublikum auftraten. Ich erinnerte mich an die Gerichte, die wir aßen, das Charras, das wir rauchten. Ich erinnerte mich an die wenigen vertrauten Gesichter, die ich an diesem Abend wahrgenommen hatte. Gehörten sie alle zur Mission? Ich sah den jungen Afghanen vor mir, der Khaderbhai so respektvoll begrüßt und sich dabei so tief verbeugt hatte, dass die Pistole in den Falten seines Pattu zum Vorschein kam.
Ich dachte noch immer über diesen ersten Abend nach, beunruhigt von den Fragen, die ich nicht beantworten konnte, als wir zu einem großen, gekachelten, an die Moschee angrenzenden Platz kamen, auf dem Hunderte von Männern mit übergeschlagenen Beinen am Boden saßen. Die Blinden Sänger beendeten ihr Lied, und die Männer applaudierten und schrien Allah! Allah! Subhaan Allah! Khaled führte uns durch die Menge zu einer geschützten Nische, in der wir auf Khader, Nasir und einige andere Männer stießen.
Khaderbhai hob die Hand und bedeutete mir, dass ich zu ihm kommen sollte, was andere dazu veranlasste, zu uns herüberzublicken. Als ich zu ihm trat, nahm er meine Hand und zog mich an seine Seite. Widersprüchliche Gefühle befehdeten sich in meinem verstörten Herzen: Angst, weil man die Verbindung zwischen Khader Khan und mir so eindeutig sah, und Stolz, weil er mich vor allen anderen an seine Seite gebeten hatte.
»Das Rad hat eine volle Umdrehung vollzogen«, flüsterte er mir ins Ohr, eine Hand auf meinem Unterarm. »Mit den Blinden Sängern haben wir uns kennen gelernt, und jetzt, bevor unsere wichtige Aufgabe beginnt, hören wir sie aufs Neue.«
Er konnte in mein Inneres blicken, und irgendetwas sagte mir, dass er sich mit Absicht so verhielt, dass er sich der Wirkung seiner Worte vollauf bewusst war. Ganz unvermittelt wurde ich wütend auf ihn, war ich aufgebracht, sogar über seine Berührung. »Hast du die Blinden Sänger hierher bestellt?«, fragte ich in scharfem Ton, starr geradeaus blickend. »So wie du alles arrangiert hast, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind?«
Er blieb stumm, bis ich schließlich den Kopf wandte und ihn ansah. Als ich seinem Blick begegnete, spürte ich, wie mir die Tränen kamen, und ich unterdrückte sie, indem ich die Zähne zusammenbiss. Es funktionierte, meine Augen blieben trocken, aber mein Inneres befand sich in Aufruhr. Der Mann mit der zimtfarbenen Haut und dem sorgfältig gestutzten weißen Bart hatte mich und alle anderen, die er kannte, benutzt und manipuliert, als seien wir seine
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