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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Sitzes.
    »Und wieso haben sie das getan?«, fragte ich.
    »Das kann Khaled dir besser erklären«, antwortete Ahmed und übergab das Wort damit an den Palästinenser, der bereits mehrere Kriege mitgemacht hatte.
    »Afghanistan ist wertvoll für die Russen«, begann Khaled. »Es gibt dort zwar kein Gold und kein Öl und auch sonst nichts besonders Ergiebiges, aber es ist wichtig für sie, weil es an die Sowjetunion angrenzt. Zuerst haben sie versucht, ihren Einfluss durch Hilfsprogramme geltend zu machen. Dann haben sie ihre eigenen Leute an die Macht gebracht, indem sie eine Marionettenregierung gebildet haben. Das stank den Amerikanern wegen des Kalten Krieges und dieser politischen Zündelei, und sie haben Öl ins Feuer geschüttet, indem sie die einzigen Typen unterstützt haben, die diese russischen Marionettenpolitiker wirklich hassten – die fanatischen Mullahs. Die Langbärte waren außer sich über die Veränderungen im Land, die von den Russen eingeführt wurden – Frauen, die arbeiten und studieren und ohne die vollständige Burka herumlaufen durften. Als sie von den Amerikanern Gewehre, Bomben und Geld angeboten bekamen, um die Russen zu attackieren, griffen sie natürlich zu. Nach einer gewissen Zeit beschlossen die Russen, dass sie nicht länger den Schein wahren wollten, und marschierten ein. Nun herrscht Krieg.«
    »Und die Pakistani«, ergänzte Ahmed Zadeh, »wollen Afghanistan, weil Pakistan so schnell wächst und sie das Land brauchen. Sie wollen die beiden Länder zu einem zusammenschließen. Wegen der Generäle gehört Pakistan aber Amerika und wird deshalb von den Amerikanern unterstützt. Sie bilden jetzt überall in Pakistan in Religionsschulen, den Madrassahs, ihre Kämpfer aus. Und diese Kämpfer, die Talebs, werden Afghanistan übernehmen, wenn wir anderen den Krieg gewonnen haben. Und wir werden ihn gewinnen. Aber beim nächsten bin ich mir nicht so sicher …«
    Ich schaute zum Fenster hinaus, was die Männer als Zeichen deuteten; sie unterhielten sich auf Arabisch weiter. Ich lauschte der flüssigen Melodie ihrer Sprache und gab mich meinen Gedanken hin. Die Umgebung draußen wurde zusehends schäbiger und verwahrloster. Viele der einstöckigen Häuser aus Lehmziegeln, die offenbar von mehrköpfigen Familien bewohnt wurden, wirkten so unfertig, als seien sie sofort bezogen worden, nachdem man Wände und Dach fertig gestellt hatte.
    Ganze Vorstädte bestanden aus diesen scheinbar planlosen halb fertigen Behausungen; auf diese Weise versuchte man die zahllosen Einwanderer unterzubringen, die in die rasch anwachsende Stadt strömten. Diese immer gleichen primitiven Unterkünfte erstreckten sich auf beiden Seiten der Hauptstraße, so weit das Auge reichte.
    Die Straßen waren teilweise so überfüllt, dass wir nur langsam vorwärts kamen. Nach einer Stunde Fahrt hielt der Taxifahrer kurz an, und ein anderer Mann stieg ein. Auf Khaleds Anweisung hin wendete der Fahrer den Wagen und fuhr exakt dieselbe Strecke wieder zurück.
    Der Mann, der nun neben uns saß, hieß Mahmud Melbaaf, war dreißig Jahre alt und stammte aus dem Iran. Auf den ersten Blick – er hatte dichtes schwarzes Haar, hohe Wangenknochen und Augen von der Farbe einer Düne im blutroten Licht der Abendsonne – erinnerte er mich so sehr an meinen geliebten Freund Abdullah, dass mich ein heftiger Schmerz durchzuckte. Doch nach ein paar Momenten verflog der Eindruck: Mahmud hatte leicht vorstehende Augen, sein Mund war schmaler und sein Kinn länglich, wie geschaffen für einen Spitzbart. Eigentlich sah er Abdullah Taheri überhaupt nicht ähnlich.
    Doch durch den Gedanken an meinen Freund und die schmerzhafte Trauer über seinen Verlust wurde mir plötzlich verständlicher, warum ich hier war, warum ich mit Khaled und den anderen in einen fremden Krieg zog. Ein Teil meiner Bereitschaft, die Gefahren von Khaders Mission auf mich zu nehmen, war in Schuldgefühlen begründet – der Schuld, die ich in mir trug, weil Abdullah alleine gestorben war, von Gewehren umzingelt. Ich brachte mich in die nächstbeste vergleichbare Lage, indem ich mich vor die Gewehre von Feinden begab. Und in dem Augenblick, in dem ich diesen Gedanken wahrnahm, in dem Augenblick, in dem ich das unausgesprochene Wort an eine graue Mauer meines Geistes schrieb – Todeswunsch –, lehnte ich mich innerlich dagegen auf, mit einem Schauder, der mich überlief. Und zum ersten Mal in all den Monaten, nachdem ich eingewilligt hatte, diese Aufgabe für Abdel

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