Shantaram
deinem Arm? Willst du ihn nicht untersuchen lassen?«
»Ist es kein Problem diese Arm, Lin. Trinken wir paar Whisky Drinks am Ende von die Führung, in prima schlimme Lokal, das ich kenne. Ist das gute Medizin. Also kommst du, Baba, gehen wir.«
»Na gut, wie du meinst. Aber wir waren doch ursprünglich in die andere Richtung unterwegs?«
»Immer noch die andere Richtung, Baba«, erwiderte Prabaker in drängendem Ton. »Aber erst diese Richtung! Schaust du da drüben das Telefon, bei die Haltestelle. Muss ich anrufen mein Cousin. Arbeitet er jetzt in Sunshine Restaurant, ist er Geschirrwäscher. Sucht er Taxi-Job für sein Bruder, Suresh, und muss ich sagen ihm ganz schnell die Telefonnummer und der Name vom Taxi-Boss – der Boss vom Fahrer, der weg ist mit die Leute. Weißt du, braucht der Boss jetzt neue Fahrer, ist das prima Gelegenheit für Suresh. Aber müssen wir uns beeilen, ja?«
Prabaker telefonierte. Und kaum hatte er den Hörer aufgelegt, setzte er die versprochene Führung fort, als sei nichts geschehen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, nahm er ein anderes Taxi für uns und ließ uns zu den dunklen Seiten der Stadt chauffieren. Das Thema war erledigt, und er kam auch nie mehr auf diese Episode zu sprechen. Wenn ich sie hin und wieder erwähnte, reagierte er entweder mit einem Achselzucken oder einer kryptischen Bemerkung darüber, was für ein Glück wir doch gehabt hätten, dass wir nicht ernsthaft verletzt wurden. Für ihn hatte der Vorfall den Stellenwert einer Kneipenschlägerei oder einer Prügelei unter Rabauken – er war etwas Alltägliches und nicht weiter erwähnenswert, es sei denn, man war unmittelbar davon betroffen.
Für mich dagegen waren dieser abrupte verwirrende Tumult und der Anblick des Taxifahrers, der auf einer Woge von Händen, Schultern und Köpfen davongetragen wurde, ein Wendepunkt, der mir eine neue Erkenntnis brachte: Ich verstand, dass ich nur in Bombay bleiben konnte, in dieser Stadt, in die ich mich bereits verliebt hatte, wenn ich meine Einstellung änderte. Ich würde mich einlassen müssen. Die Stadt gestattete keine Beobachter, die reserviert und distanziert zusahen. Wenn ich hierbleiben wollte, musste ich damit rechnen, dass Bombay mich in den Sog seiner Wut und seiner Wonnen reißen würde. Früher oder später, das war mir jetzt klar, musste ich den Gehweg verlassen, musste ich mich in die blutige Menge mischen und Leib und Leben riskieren.
Während dieser aus innerem Aufruhr geborene Vorsatz langsam in mir zu keimen begann, schritt ich an Prabakers Seite den dunklen Teilen der Stadt entgegen. Als Erstes führte er mich zu einem Sklavenmarkt nicht weit von Dongri, einem Stadtteil im Süden Bombays, der für seine Moscheen, Basare und seine Mughlai-Spezialitäten-Restaurants berühmt war. Die Hauptstraße verästelte sich hier zu kleinen Straßen und diese zu Gassen. Als selbst diese zu eng für das Taxi wurden, stiegen wir aus und gingen zu Fuß weiter durch das geschäftige Getümmel. Je tiefer wir in das Gassenlabyrinth vordrangen, desto mehr verloren wir das Bewusstsein für den Tag, das Jahr, sogar für das Zeitalter, in dem wir lebten. Die Luft wurde klarer, als die Autos und Motorroller nach und nach verschwanden, sie roch schärfer und vielfältiger, weil die Düfte der Gewürze und Parfums nicht mehr von den Diesel- und Benzinabgasen überlagert wurden. Der Verkehrslärm ließ nach, verebbte schließlich ganz, und man hörte nur noch die Geräusche des Straßenlebens – eine Schulklasse, die in einem kleinen Innenhof Koranverse aufsagte, das Schaben und Scharren von Stein auf Stein, wenn Frauen in Hauseingängen Gewürze zerstießen; plärrende Schreie von Messerschleifern, Matratzenaufschüttlern, Herdreparateuren und anderen fliegenden Händlern. Was wir hörten, waren nur noch menschliche Klänge, überall nur Menschenklänge, von Hand und Mund erzeugt.
An einer Ecke im Gassengewirr passierten wir einen langen Metallständer, an dem Fahrräder geparkt waren. Danach verschwanden selbst diese einfachen Transportmittel – Waren wurden von Trägern in riesigen Bündeln auf dem Kopf balanciert. Nur eine Bürde, die sonst jeder tragen musste, war im dunklen Gewirr dieser kühlen, tief verschatteten Gassen von uns genommen: der hämmernde Druck der Bombayer Sonne. Die Gebäude am Straßenrand waren zwar nur drei, höchstens vier Stockwerke hoch, aber sie neigten sich so tief in die gewundenen Gassen, dass vom Himmel nur noch ein dünner, hellblauer
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