Shantaram
Verkehrsgetümmel hineinraste. »Der bringt uns noch um!«
»Band karo!«, rief Prabaker. Anhalten!
Zur Sicherheit fügte er noch einen markigen Fluch hinzu, was den Fahrer jedoch nur noch wütender machte. Dass wir mit Höchstgeschwindigkeit dahinschossen, hielt ihn nicht davon ab, sich zu uns umzudrehen und uns mit weit aufgerissenem Mund und gebleckten Zähnen anzuschnauzen. Seine Augen waren riesig und schwarz und funkelten vor Wut.
»Arrey!«, kreischte Prabaker und deutete an ihm vorbei nach vorne.
Doch es war bereits zu spät. Der Fahrer drehte sich zwar sofort um, streckte die Arme am Lenkrad durch und trat voll auf die Bremse. Doch wir rutschten, schleuderten, eine Sekunde … zwei Sekunden … drei Sekunden. Ein Japsen drang aus der Brust des Fahrers, ein schmatzender Laut, als zöge man einen flachen Stein aus dem feuchten Lehm eines Flussufers. Dann prallten wir mit dumpfem Krachen auf einen Wagen, der vor uns gebremst hatte, um abzubiegen. Prabu und ich wurden gegen die Vordersitze geschleudert, dann folgte weiteres Krachen, als zwei Autos auf uns auffuhren.
Das Klirren und Scheppern der Glasscherben und Chromstücke klang in der plötzlichen Stille nach dem Aufprall wie dünner metallischer Applaus. Ich war mehrfach herumgeschleudert worden und schließlich mit dem Kopf an die Tür geknallt. Ich spürte Blut, vermutlich aus einer Platzwunde über meinem Auge, war ansonsten aber unversehrt. Als ich mich aufrappelte, spürte ich Prabakers Hände.
»Hast du nichts kaputt, Lin? Bist du okay?«
»Alles okay, ja, alles okay.«
»Ganz sicher? Alles nicht kaputt?«
»Großer Gott, Prabu, mir ist egal, wie gut dieser Kerl spucken kann«, sagte ich mit nervösem Lachen, schwächlich vor Erleichterung. »Trinkgeld kriegt der jedenfalls nicht von mir. Bei dir auch alles in Ordnung?«
»Müssen wir hier raus, Lin!«, jammerte er hysterisch. »Raus! Raus hier! Sofort!«
Die Tür auf seiner Seite war verkeilt, und er stemmte sich mit der Schulter dagegen. Sie bewegte sich keinen Millimeter. Er griff an mir vorbei, um an meiner Tür zu rütteln, sah dann jedoch, dass sie draußen von einem Autowrack blockiert war. Als unsere Blicke sich trafen, stand in seinen geweiteten Augen derart blankes Entsetzen, dass mich ein eiskalter Schreck durchfuhr. Abrupt drehte Prabaker sich um und warf sich erneut gegen die Tür auf seiner Seite.
Mein Hirn fühlte sich an wie eine schlammige Brühe, in der nur ein einziger klarer Gedanke zu fassen war: FEUER – fürchtet er sich vor Feuer? Sobald ich diesen Gedanken gedacht hatte, wurde ich ihn nicht mehr los. Ich sah Prabakers angstverzerrten Mund und war mir sicher, dass das Taxi gleich in Flammen aufgehen würde. Ich wusste aber auch, dass wir in der Falle saßen. Die Rückfenster in den Bombayer Taxis, die ich bislang gesehen hatte, ließen sich nur wenige Zentimeter öffnen. Unsere Türen waren verkeilt, die Seitenfenster gingen nicht auf, das Taxi würde gleich explodieren, und wir saßen in der Falle. Bei lebendigem Leibe verbrannt … Hat er davor solche Angst?
Ich sah zum Fahrer nach vorn. Er hing zusammengesackt zwischen Lenkrad und Tür und rührte sich nicht, doch ich hörte ihn stöhnen. Unter seinem dünnen Hemd hob und senkte sich der dornige Grat seiner Wirbelsäule mit jedem mühevollen, flachen Atemzug.
Vor den Fenstern des Taxis erschienen Gesichter, und ich hörte aufgeregte Stimmen. Prabaker sah zu ihnen hinaus, drehte sich hilflos hierhin und dorthin, und sein Gesicht glich einer gequälten, panischen Fratze. Plötzlich kletterte er über den Vordersitz und drückte mit Gewalt die Beifahrertür auf. Dann drehte er sich hektisch um, packte meine Arme mit erstaunlicher Kraft und versuchte mich über die Sitzlehne zu zerren.
»Gehst du hier, Lin! Komm! Schnell, beeilst du dich!«
Ich kletterte über den Sitz nach vorne. Prabaker stieg aus und drängte sich durch eine Schar Schaulustiger. Ich drehte mich zum Fahrer um, der unter dem Lenkrad eingeklemmt war, und wollte ihn befreien, wurde jedoch durch Prabakers eisernen Griff daran gehindert. Eine Hand krallte sich in meinen Rücken, die andere zerrte an meinem Hemdkragen.
»Nicht anfassen, Lin!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme. »Nicht anfassen! Lass du ihn und steigst du aus! Sofort steigst du aus!«
Er zog mich aus dem Auto und zerrte mich durch den immer dichter werdenden Wall von Leibern rings um die Unfallstelle. Wir ließen uns auf einem Fußweg an einem schmiedeeisernen
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