Shantaram
Schritten an der Wand entlang. Er erwartete, dass ich ihm folgte. Ich zögerte, doch als seine sternförmige, schlurfende Silhouette mit der Dunkelheit verschmolz, tat ich es ihm gleich, setzte meine Füße direkt an den gegenüberliegenden Hauswänden auf und schlurfte hinter ihm her.
Ich konnte Prabaker vor mir hören, doch es war so dunkel, dass ich ihn nicht sah. Als einer meiner Füße ein Stück von der Wand abkam, landete mein Stiefel mit einem schmatzenden Geräusch in dem schleimigen Matsch, der die Mitte des Gangs bedeckte. Von diesem zähen Schlamm stieg ein übler Geruch auf, und ich hielt meine Füße nun ganz dicht an der Wand, schob sie in kleinen Schritten vorwärts. Etwas Gedrungenes, Schweres glitt an mir vorbei und streifte mit seinem dicken Körper meinen Stiefel. Sekunden später drängte sich in der Dunkelheit ein zweites, dann ein drittes Tier an mir vorbei, den schweren Körper über meine Stiefelspitze wälzend.
»Prabu!«, brüllte ich. Wie weit er vor mir war, konnte ich nicht sagen. »Hier sind irgendwelche Viecher unterwegs!«
»Was für Viecher, Baba?«
»Auf dem Boden! Mir krabbelt was über die Füße! Etwas Schweres!«
»Krabbeln sie hier nur Ratten, Lin. Keine Viecher.«
»Ratten? Soll das ein Witz sein? Diese Teile sind so groß wie Bullterrier. Das ist eine ziemlich heftige Führung, mein Freund.«
»Kein Problem große Ratten, Lin«, antwortete Prabaker irgendwo aus der Dunkelheit vor mir. »Sind sie prima freundliche Burschen, die große Ratten, machen sie kein Ärger für die Menschen. Gibt es nur ein einzige Sache, was macht sie beißen und kratzen und so was Zeug.«
»Und was um Himmels willen ist das?«
»Schreien, Baba«, antwortete er leise. »Mögen sie nicht laute Stimmen.«
»Na toll! Und das sagst du mir jetzt!«, krächzte ich. »Ist es noch weit? Ich finde das allmählich ziemlich unheimlich, und …«
Er war stehen geblieben, sodass ich gegen ihn prallte und ihn an eine getäfelte Holztür vor uns drückte.
»Sind wir da«, flüsterte er und pochte mit einem komplizierten Klopfzeichen an die Tür. Wir hörten ein Schaben und Klacken, als ein schwerer Riegel zurückgezogen wurde, dann ging die Tür auf, und wir wurden von hellem Licht geblendet. Prabaker packte mich am Ärmel und zerrte mich hinein. »Schnell, Lin! Dürfen keine große Ratten hier rein!«
Wir traten in einen kleinen Raum, der von kahlen Mauern umgeben war und von Tageslicht beleuchtet wurde. Der rechteckige Himmelsausschnitt hing über uns wie ein Stück Rohseide. Von weiter hinten hörte ich Stimmen. Ein Hüne von Mann schlug die Tür hinter uns zu. Er stellte sich mit dem Rücken davor und sah uns mit gebleckten Zähnen finster an. Prabaker begann sofort, ihn mit sanften Worten und unterwürfigen Gesten zu beschwichtigen, doch der Mann schüttelte immer wieder den Kopf und unterbrach Prabaker, um nein, nein, nein zu sagen.
Er ragte vor mir auf, und ich stand so dicht bei ihm, dass ich den Atem aus seinen breiten Nasenlöchern spürte; es klang wie Wind, der durch die Höhlen einer Felsküste pfeift. Seine Haare waren sehr kurz, sodass man seine Ohren sah, die so riesig und unförmig waren wie die Trainingshandschuhe eines Boxers. In seinem eckigen Gesicht zeichnete sich mehr Muskelmasse ab als an einem durchschnittlichen Männerrücken. Seine Brust, die so breit wie meine Schultern war, hob und senkte sich mit jedem Atemzug über einem enormen Bauch. Die scharfe Linie seines Schnurrbarts betonte seine finstere Miene, und er betrachtete mich mit solch unverhohlenem Abscheu, dass sich in meinem Kopf ein kleines Gebet abspulte: Bitte, lieber Gott, zwing mich nicht, mit diesem Mann zu kämpfen.
Jetzt hob er die Hände, um Prabakers wortreicher Liebedienerei Einhalt zu gebieten. Es waren gewaltige Hände, knotig und schwielig genug, um damit die Entenmuscheln von einem Öltanker im Trockendock herunterzukratzen.
»Sagt er, dürfen wir nicht rein«, erklärte Prabaker.
»Na ja«, erwiderte ich ehrlich erleichtert und griff an dem Hünen vorbei, um die Eingangstür wieder zu öffnen, »immerhin haben wir’s versucht.«
»Nein, nein, Lin!« Prabaker hielt mich auf. »Müssen wir diskutieren mit ihn.«
Der Hüne verschränkte die Arme, sodass die Nähte seines Khakihemdes leise krachten.
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist«, murmelte ich mit verkrampftem Lächeln.
»Ist es prima Idee!«, beharrte Prabaker. »Dürfen Touristen nicht rein hier oder in andere Märkte, wo man
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