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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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hatten, hatten wir uns gegenseitig mit Geschichten aus unserem Leben gestärkt und unterhalten. An diesem letzten Abend hatten schon einige der Männer Geschichten zum Besten gegeben, und ich war wieder an der Reihe. In meiner ersten Geschichte vor Wochen hatte ich von meinem Ausbruch aus dem Gefängnis erzählt. Die Männer waren zwar schockiert, als sie hörten, dass ich ein gunaa, ein Sünder, gewesen war, den man wegen seiner kriminellen Handlungen ins Gefängnis gesteckt hatte, aber der Bericht faszinierte sie, und sie stellten mir danach viele Fragen. Meine zweite Geschichte handelte von der Nacht der Mörder.Ich schilderte,wie Abdullah,Vikram und ich die nigerianischen Killer aufgespürt hatten; wie wir mit ihnen gekämpft, sie besiegt und aus dem Land verbannt hatten; wie ich Maurizio gejagt hatte, den Mann, der für all das verantwortlich war, und ihn verprügelt hatte, obwohl ich ihn am liebsten getötet hätte; wie ich mein Mitgefühl dann allerdings bereute, als er Lisa Carter angriff und Ulla dazu veranlasste, ihn umzubringen.
    Auch diese Geschichte war sehr gut angekommen, und als Mahmud Melbaaf sich nun neben mich setzte, um meine dritte Geschichte zu übersetzen, sann ich darüber nach, womit ich die Männer ein weiteres Mal fesseln könnte. In Gedanken ging ich die Liste meiner persönlichen Helden durch. Da gab es so viele, Männer und Frauen, die sich durch ihren Mut und ihre Opferbereitschaft in mein Gedächtnis geprägt hatten, angefangen von meiner eigenen Mutter. Doch als die ersten Worte aus meinem Mund kamen, merkte ich, dass es Prabakers Geschichte war, die ich erzählen wollte. Diese Worte kamen, wie ein verzweifeltes Gebet, direkt aus meinem Herzen.
    Ich erzählte, wie Prabaker schon als Junge sein paradiesisches Dorf verließ; wie er als Teenager in Begleitung des wilden Straßenjungen Raju und anderen Freunden in das Dorf zurückkehrte, um gegen die Dacoits zu kämpfen; wie Rukhmabai, Prabakers Mutter, den Männern des Dorfes Mut machte; wie der junge Raju auf den großspurigen Anführer der Dacoits zuging und mit dem Revolver so lange auf ihn schoss, bis der Mann tot umfiel; wie sehr Prabaker Feste, Tanz und Musik liebte; wie er die Frau, die er liebte, während der Choleraepidemie pflegte und sie später heiratete; und wie er starb, in einem Krankenhausbett, umgeben von Menschen, die ihn liebten.
    Nachdem Mahmud den letzten Satz übersetzt hatte, trat ein längeres Schweigen ein, während die Männer über die Geschichte nachsannen. Ich sagte mir gerade, dass sie gewiss ebenso gerührt waren von der Geschichte meines kleinen Freundes wie ich selbst, als die ersten Fragen gestellt wurden.
    »Wie viele Ziegen gab es in diesem Dorf?«, fragte Suleiman gewichtig.
    »Er möchte wissen, wie viele Ziegen –«, begann Mahmud zu übersetzen.
    »Hab schon verstanden«, sagte ich lächelnd. »Nun, meiner Schätzung nach etwa achtzig, vielleicht aber auch hundert. In jedem Haushalt gab es zwei oder drei Ziegen, aber manche Leute besaßen auch sechs oder acht.«
    Diese Information löste eine Diskussion aus, die lebhafter und leidenschaftlicher war als jedes Gespräch über politische oder religiöse Themen, das sich bislang zwischen den Männern ergeben hatte.
    »Welche … Farbe … hatten diese Ziegen?«, wollte Jalalaad wissen.
    »Die Farben«, verkündete Mahmud feierlich. »Er will die Farben der Ziegen wissen.«
    »Oh, na ja, sie waren braun, glaube ich, und weiß, und es gab auch ein paar schwarze.«
    »Waren es große Ziegen, wie im Iran?«, übersetzte Mahmud Suleimans Fragen. »Oder eher mager, wie die in Pakistan?«
    »Etwa so …«, antwortete ich und deutete den Umfang einer Ziege mit den Händen an.
    »Wie viel Milch«, fragte jetzt Nasir, wider Willen gefesselt von dem Thema, »geben diese Ziege am Tag?«
    »Ich bin … wirklich kein Ziegenexperte …«
    »Versuch es«, drängte Nasir. »Versuch dich zu erinnern.«
    »Oje. Ich … ich muss wirklich raten, aber ich würde sagen … vielleicht ein paar Liter am Tag«, mutmaßte ich und hob hilflos die Hände.
    »Dieser Freund von dir, wie viel Geld hat er als Taxifahrer verdient?«, erkundigte sich Suleiman.
    »Ist dieser Freund mit einer Frau ausgegangen, alleine, vor seiner Hochzeit?«, wollte Jalalaad wissen, was allgemeines Gelächter auslöste und einige Männer dazu veranlasste, kleine Steinchen auf ihn zu werfen.
    Auf diese Weise wurden alle Themen abgehandelt, die für die Kämpfer von Interesse waren, bis ich mich

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