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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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morgen.«
    »Wie viele sind insgesamt dort?«, fragte Jalalaad.
    »Achtundsechzig Mann. Sie haben Granatwerfer, Raketen und sechs schwere Maschinengewehre. Es sind zu viele, ihr könnt euch nicht nachts unbemerkt vorbeischleichen.«
    »Du hast das doch auch geschafft«, versetzte Jalalaad trotzig.
    »Mich können sie nicht sehen«, erwiderte Habib feierlich. »Ich bin unsichtbar für sie. Mich sehen sie erst, wenn ich ihnen ein Messer in den Hals stoße.«
    »Das ist lächerlich!«, zischte Jalalaad. »Das sind Soldaten. Du bist ein Soldat. Wenn du unbemerkt an ihnen vorbeikommst, schaffen wir das auch.«
    »Sind eure Männer zu euch zurückgekehrt?«, fragte Habib und fixierte den jungen Kämpfer zum ersten Mal mit seinem starren Blick. Jalalaad öffnete den Mund, doch seine Worte versanken in der kleinen aufgewühlten See seines Herzens. Er blickte zu Boden und schüttelte den Kopf. »Könntest du in dieses Lager kommen, ohne gesehen und gehört zu werden, wie ich? Wenn du dich an ihnen vorbeischleichen willst, wirst du getötet werden wie deine Freunde. Ich kann das, aber du kannst es nicht.«
    »Aber du meinst, wir könnten morgen dort durchbrechen?«, fragte Khaled behutsam und sanft, doch wir alle hörten das Drängen in seiner Stimme.
    »Ja. Es ist nur so möglich. Ich war überall hier in der Gegend, und ich war ihnen so nahe, dass ich gehört habe, wie sie sich kratzen. Deshalb bin ich hier. Ich will euch sagen, wie ihr euch retten könnt. Aber ihr müsst einen Preis bezahlen für meine Hilfe. Alle, die ihr morgen nicht tötet, die Überlebenden, die gehören mir. Ihr werdet sie mir überlassen.«
    »Ja, ja«, sagte Suleiman beruhigend. »Komm, bachekaka, erzähl uns, was du weißt. Wir möchten wissen, was du in Erfahrung gebracht hast. Setz dich zu uns und berichte uns, was du weißt. Wir haben nichts zu essen, deshalb können wir dir kein Mahl anbieten. Es tut mir leid.«
    »Dort ist Essen«, erwiderte Habib und wies in die Dunkelheit. »Ich rieche es.«
    In der Tat lagen die verrottenden Reste der geschlachteten Ziege – die Teile des Tiers, die als haram galten –, auf einem kleinen Haufen draußen im Schnee. Trotz der Kälte hatten sie schon lange zu verfaulen begonnen. Wir nahmen den Geruch aus dieser Entfernung nicht wahr, doch Habib war offenbar dazu imstande.
    Diese Äußerung des Wahnsinnigen löste eine langwierige Debatte über die religiösen Folgen des Verzehrs von Fleisch aus, das haram war. Die Männer befolgten die Glaubensregeln nicht besonders strikt. Sie beteten täglich, aber nicht genau zu den für die Schiiten vorgeschriebenen drei Zeitpunkten oder den fünf der Sunniten. Sie waren fromme, aber nicht zutiefst religiöse Männer. Dennoch wollten sie in Kriegszeiten und angesichts unserer bedrohlichen Lage gewiss nicht auch noch Gott gegen sich aufbringen. Sie waren heilige Krieger, Mudjahedin; Männer, die glaubten, dass sie nach ihrem Tod im Kampf unverzüglich zu Märtyrern würden und einen Platz im Himmel bekämen, wo sie von schönen Jungfrauen erwartet würden. Gewiss wollten sie sich nicht mit verbotenen Nahrungsmitteln verunreinigen, wo sie sich ihrem Platz im Paradies schon so nahe wähnten. Dass sie ihren Glauben sehr ernst nahmen, zeigte sich schon darin, dass die Debatte über die unreinen Teile der Ziege erst aufkam, nachdem wir vier Wochen gedarbt hatten und nun seit fünf Tagen hungerten.
    Ich gestand Mahmud Melbaaf jedenfalls, dass ich in den letzten Tagen beinahe ständig an die Fleischreste gedacht hatte. Ich war kein Muslim, mir waren sie nicht verboten. Doch ich fühlte mich den Kämpfern so nahe und hatte so viel mit ihnen durchgemacht in den vergangenen Wochen, dass ich mein Schicksal mit ihrem verknüpft hatte. Ich wollte das Fleisch essen, aber nur, wenn sie es auch taten.
    Suleiman lieferte schließlich das entscheidende Argument. Er teilte den Männern mit, dass es zwar in der Tat für einen Muslim eine schlimme Handlung war, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die als haram galten, dass es jedoch noch schlimmer war für einen Muslim, an Hunger zu sterben, wenn verbotene Nahrungsmittel zur Verfügung standen. Die Männer kamen überein, dass wir vor dem Morgengrauen das halb verdorbene Fleisch in einer Suppe kochen würden. Dann, gestärkt durch die Nahrung, würden wir uns mithilfe von Habibs Informationen über die feindlichen Stellungen den Weg aus den Bergen freikämpfen.
    In den langen Wochen, in denen wir hungernd und frierend in unserer Höhle gesessen

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