Shantaram
den Don gewandt, mit der Bitte, dem Jungen zu helfen. Salman war darauf eines der Kinder geworden, die Khaderbhai mit einem Stipendium förderte – wie mein Berater in der Slumklinik, Doktor Hamid –, und es wurde beschlossen, dass er später Anwalt werden solle. Khader meldete Salman an einem Jesuitenkolleg an, und der Junge aus dem Slum trug nun täglich eine saubere weiße Schuluniform und wurde gemeinsam mit den Kindern der reichen Oberschicht unterrichtet. Er erhielt eine hervorragende Ausbildung: Sein Englisch war exzellent, und er hatte ein breites Allgemeinwissen in allen Bereichen von Geschichte und Geografie bis zu Literatur, Naturwissenschaften und Kunst. Doch der Junge trug einen ruhelosen Hunger nach Aufregung und eine Wildheit in sich, die selbst die harten Stöcke der Jesuiten nicht zu zähmen vermochten.
Während Salman sich mit den Jesuiten abmühte, war Sanjay in Khaders Reihen aufgenommen wurden. Er arbeitete als Kurier, der Nachrichten und Schmuggelware zwischen diversen Mafiastützpunkten in der Stadt transportierte. In den ersten Wochen, in denen er im Einsatz war, wurde er in einem Kampf mit Männern eines rivalisierenden Klans, die ihn ausrauben wollten, durch einen Messerstich verletzt. Er wehrte sich nach Kräften, entkam seinen Angreifern und lieferte sein Päckchen pflichtschuldig in Khaders Sammelstelle ab. Aber seine Verletzung war schwerwiegend, und es dauerte zwei Monate, bis er sich davon erholte. Salman, sein bester Freund, machte sich Vorwürfe, weil er nicht an Sanjays Seite gewesen war. Er verließ sofort die Schule und bat Khader flehentlich, an der Seite seines Freundes als Kurier arbeiten zu dürfen. Der Khan willigte ein, und seit diesem Tag waren die beiden jungen Männer bei jedem Verbrechen des Klans gemeinsam im Einsatz.
Damals, zu Anfang, waren beide erst sechzehn. In den Wochen vor unserem Treffen im Mocambo waren sie dreißig geworden. Aus den wilden Jungen waren harte Männer geworden, die ihre Familien mit Geschenken überhäuften und einen aufwendigen, schnellen und aggressiven Lebensstil pflegten. Ihren Schwestern hatten sie luxuriöse Hochzeiten finanziert, sie selbst waren jedoch beide unverheiratet – und das in einem Land, in dem ledig zu sein im besten Falle als unpatriotisch, im schlimmsten jedoch als Sakrileg galt. Salman hatte mir gesagt, dass sie beide nicht heiraten wollten, weil sie der Meinung waren, dass sie jung eines gewalttätigen Todes sterben würden. Diese Überzeugung bereitete ihnen keinerlei Kopfzerbrechen. Sie betrachteten diese Aussicht eher als fairen Handel: ein aufregendes Leben, Macht und Reichtum für sie und ihre Familien im Austausch gegen ein kurzes Leben, das durch ein Messer oder eine Pistole enden würde. Und als Nasirs Truppe im Gangsterkrieg Ghanis Leute besiegte, wurden die beiden in den Rat aufgenommen und waren nun selbst junge Mafia-Dons.
»Ich glaube aber doch, dass Ghani Khaderbhai vor dem bewahren wollte, was in seinem Herzen vor sich ging«, äußerte Salman in seinem klaren kultivierten Englisch. »Er hat ein gutes Jahr lang immer wieder über diesen Heldenfluch gesprochen, bevor er auf Sapna verfiel.«
»Ah, scheiß doch drauf, yaar«, knurrte Sanjay. »Wofür zum Teufel hielt der sich, dass er Khaderbhai warnen wollte? Und wieso hat er uns alle in diese Scheiße mit Patil reingeritten, sodass seine Typen den alten Madjid zerstückeln mussten? Und danach ist er hergegangen und hat alle an die Scheißgeheimpolizei von Pakistan verraten, yaar. Scheiß auf den, echt. Wenn ich den Madachudh ausgraben und nochmal umbringen könnte, würd ich’s sofort machen. Jeden Tag würd ich das machen, so als wär’s mein Scheißhobby.«
»Wer war denn der wahre Sapna?«, fragte ich. »Wer hat die Morde wirklich begangen? Nach Abdullahs Tod hat Khader mir gesagt, dass er den wahren Sapna gefunden und getötet habe. Wer war es? Und wieso hat Khader ihn umgebracht, wenn er doch für ihn gearbeitet hat?«
Die beiden jungen Männer sahen Nasir an und stellten ihm ein paar Fragen auf Urdu. Dies war eine Geste der Achtung gegenüber dem älteren Mann; sie wussten so gut Bescheid über die Vorgänge wie er, erkundigten sich jedoch nach seiner Meinung und bezogen ihn in das Gespräch mit ein. Ich verstand fast alles, was Nasir sagte, wartete jedoch Sanjays Übersetzung ab.
»Er hieß Jeetendra, wurde Jeetudada genannt«, antwortete Sanjay schließlich. »Ein Typ aus Delhi, fit im Umgang mit Machete und Schusswaffen. Ghani hat ihn
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