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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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nicht meine, und für diese Männer kam sie immer an erster Stelle. Ich jedoch war den Männern verbunden, nicht der Mafia; den Brüdern, nicht der Bruderschaft. Ich arbeitete für die Mafia, doch ich gehörte ihr nicht an. Ich gehöre nirgendwo dazu. Ich habe noch nie eine Gruppe, eine Organisation oder eine Idee für mich gefunden, die mir wichtiger war als die Männer und Frauen, an deren Ziele sie glaubten.
    Und es gab noch einen weiteren Unterschied zwischen diesen Männern und mir – einen Unterschied, der so massiv war, dass nicht einmal die Freundschaft ihn negieren konnte. Ich war der einzige Mann am Tisch, der bislang keinen Menschen getötet hatte, weder im Jähzorn noch aus kaltblütigem Vorsatz. Sogar der liebenswürdige und gesprächige junge Andrew hatte mit seiner Beretta auf einen Feind geschossen – einen der Sapna-Killer – und sein gesamtes Magazin geleert, bis der Mann, wie Sanjay sagen würde, zwei- oder dreimal tot war.
    Und in diesem Moment erschienen mir jene Unterschiede gewaltig und unüberwindbar – viel gewichtiger und bedeutsamer als die vielen Talente, Wünsche und Neigungen, die ich mit den Männern teilte. Ich spürte, wie ich mich von ihnen entfernte, während ich gemeinsam mit ihnen an dem langen Tisch im Taj Mahal saß. Während Amir seine Geschichten erzählte und ich mich bemühte, zu nicken, zu lächeln und mit ihnen zu lachen, ergriff die Schwermut Besitz von mir. Dieser Tag, der gut begonnen hatte und anfänglich ganz normal schien, war durch Salmans kurzen Satz aus den Fugen geraten. Es war warm im Raum, aber ich fror. Mein Bauch war hungrig, doch ich konnte nicht essen. Ich saß mit Freunden in einem Restaurant voller Menschen, doch ich fühlte mich einsamer als ein Mudjahedin, der am Abend vor dem Kampf alleine Wache steht.
    Und dann blickte ich auf und sah Lisa Carter hereinkommen. Ihr blondes Haar war kurz geschnitten, und der neue Stil stand ihr gut, betonte ihr offenes, aufrichtiges, liebreizendes Gesicht. Sie trug Hosen und eine locker fallende Bluse in Hellblau, ihrer Lieblingsfarbe, und in ihrem dichten Haar steckte eine hellblaue Sonnenbrille. Sie sah wie ein Lichtwesen aus, ein Wesen aus Himmel und hellem, klarem Licht.
    Ohne auch nur einen Moment nachzudenken, stand ich auf, entschuldigte mich bei meinen Freunden und ging zu ihr. Sie entdeckte mich, als ich auf sie zukam. Ein strahlendes Lächeln erhellte ihr Gesicht, sie breitete die Arme aus, um mich zu umarmen. Und sie spürte es sofort. Sie berührte mein Gesicht, ertastete die Blindenschrift der Narben, und zog mich aus dem Restaurant ins Foyer.
    »Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen«, sagte sie, als wir uns in einer ruhigen Ecke niedergelassen hatten. »Was ist los?«
    »Nichts«, log ich. »Wolltest du grade zu Mittag essen?«
    »Nein, nur einen Kaffee trinken. Ich habe ein Zimmer hier, im alten Flügel, mit Blick auf das Gateway. Eine unglaubliche Aussicht und ein wunderbares Zimmer. Ich wohne drei Tage hier, während Lettie einen Deal mit einem großen Produzenten einfädelt. Das Zimmer gehört zu den Extras, die sie ihm rausgeleiert hat. So sieht’s aus in der Filmbranche.«
    »Und wie läuft es für dich?«
    »Super«, sagte sie lächelnd. »Lettie ist völlig in ihrem Element. Sie führt jetzt die Verhandlungen mit den Studios und den Agenten. Das kann sie besser als ich. Sie haut jedes Mal noch bessere Konditionen raus. Ich hab die Touristen übernommen. Das liegt mir mehr. Ich lerne gerne Menschen kennen und arbeite auch gern mit ihnen.«
    »Und kommst du auch damit zurecht, dass sie irgendwann wieder verschwunden sind, so nett sie auch sein mögen?«
    »Ja. Kein Problem.«
    »Wie geht’s Vikram?«
    »Vikram geht’s prima. Du kennst ihn doch. Er hat jetzt viel mehr um die Ohren als früher. Er vermisst zwar sein Leben als Stuntman, das hat er schon genossen, und er war ja auch sehr gut. Aber Lettie hat es nicht mehr ertragen. Weißt du, er sprang ständig von fahrenden Lastern und stürzte durch Fenster und so. Sie machte sich Sorgen, und dann hat sie ihn dazu gebracht, es aufzugeben.«
    »Was macht er denn jetzt?«
    »Er ist so was wie der Boss. Der Vizepräsident von der Firma, die Lettie mit Kavita, Karla und Jeet gegründet hat. Und mir.« Sie zögerte einen Moment und sagte dann: »Sie hat nach dir gefragt.«
    Ich starrte sie an, blieb stumm.
    »Karla«, fuhr Lisa fort. »Ich glaube, sie würde dich gerne treffen.«
    Auch darauf erwiderte ich nichts. Ich fand Gefallen daran, die

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