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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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Klarheit geschaffen haben – über die Vergangenheit, meine ich.«
    »Okay«, sagte ich und ließ mich auf einem Stuhl neben der Tür nieder. »Leg los.«
    Lisa setzte sich wieder aufs Bett und umschlang die Knie mit den Armen. Ich bemerkte Veränderungen an ihr – eine andere Offenheit in ihren Bewegungen und eine neue beinahe träge Gelöstheit, die ihre Augen sanfter machte. Diese Veränderungen waren Spuren der Liebe, und sie waren schön. Ich fragte mich, ob sie solche Spuren an mir vielleicht auch bemerkte, als ich ruhig und abwartend auf dem Stuhl an der Tür saß.
    »Hat Karla dir erzählt, warum sie die Staaten verlassen hat?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort schon kannte.
    »Nein.« Ich beschloss, die wenigen Einzelheiten, die Khaled mir an jenem Abend verraten hatte, als er im Schnee verschwand, nicht zu erwähnen.
    »Das habe ich nicht anders erwartet. Sie sagte mir, dass sie es dir nicht erzählen wollte. Ich habe ihr geantwortet, das sei verrückt, sie müsse reinen Tisch mit dir machen. Aber sie wollte nicht. Verrückt, wie es manchmal läuft, nicht? Damals wollte ich, dass sie es dir erzählt, damit du vielleicht abgestoßen bist von ihr. Und nun erzähle ich es dir, damit du ihr vielleicht noch eine Chance gibst – falls du willst. Jedenfalls: Karla ist aus den Staaten verschwunden, weil ihr nichts anderes übrig blieb. Sie ist geflohen, weil … sie einen Mann umgebracht hat.«
    Ich lachte. Das Lachen begann als Glucksen, wuchs sich dann aber zu einem heftigen Lachanfall aus. Ich krümmte mich förmlich vor Lachen und musste mich auf meine Oberschenkel stützen.
    »Ich finde das nicht besonders komisch, Lin«, äußerte Lisa stirnrunzelnd.
    »Nein«, keuchte ich, um Fassung ringend. »Das … meine ich … auch nicht. Es ist nur – oh Scheiße! Wenn du wüsstest, wie oft ich mich schlecht gefühlt habe, weil ich mit meinem verrückten, verpfuschten Leben in ihre Nähe geraten bin! Ich hab mir ständig gesagt, ich hätte kein Recht, sie zu lieben, weil ich auf der Flucht bin! Du musst zugeben, dass das ziemlich komisch ist.«
    Sie starrte mich an und wippte ein wenig hin und her, ohne zu lachen.
    »Okay«, schnaufte ich und riss mich zusammen. »Okay. Sprich weiter.«
    »Da war dieser Typ«, fuhr sie fort, und ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, wie ernst sie das Thema fand. »Er war der Vater einer der Kinder, auf die Karla als Babysitter aufgepasst hatte, als sie selbst noch ein junges Mädchen war.«
    »Davon hat sie mir erzählt.«
    »Ah ja? Gut, dann kennst du diesen Teil der Geschichte. Niemand half ihr, und diese Sache hat sie komplett verstört. Eines Tages hat sie sich eine Pistole besorgt, ist zu dem Haus gegangen, als der Typ alleine war, und hat ihn erschossen. Sechs Schüsse hat sie abgefeuert. Zwei haben ihn in die Brust getroffen, hat sie gesagt, und vier in den Unterleib.«
    »Und hat man rausgefunden, dass sie es war?«
    »Sie ist sich nicht sicher. Sie weiß, dass sie keine Fingerabdrücke hinterlassen hat. Niemand hat sie beobachtet, als sie weglief. Die Pistole hat sie verschwinden lassen. Und sie ist sofort aus den Staaten abgehauen. Ohne jemals zurückzukehren. Deshalb weiß sie nicht, ob nach ihr gesucht wird oder nicht.«
    Ich lehnte mich zurück und stieß langsam die Luft aus. Lisa beobachtete mich mit verengten Augen. Ihr Blick erinnerte mich daran, wie sie mich damals angesehen hatte, an jenem Abend vor Jahren in Karlas Wohnung.
    »Kommt noch mehr?«
    »Nein«, antwortete sie und schüttelte langsam den Kopf, ohne den Blick abzuwenden. »Das ist alles.«
    »Okay«, seufzte ich, strich mir mit der Hand übers Gesicht und stand auf. Ich ging zu ihr und kniete mich neben das Bett. »Ich bin froh, dass du mir das alles erzählt hast, Lisa. Es macht vieles … klarer, denke ich. Aber es ändert nichts an meinen Gefühlen. Ich würde ihr gerne helfen, wenn ich könnte, aber ich kann … einfach nicht vergessen, was passiert ist … und ich kann es ihr auch nicht verzeihen. Ich wünschte, ich wäre fähig dazu. Das würde vieles einfacher machen. Es ist schlimm, wenn man jemanden liebt, dem man nicht verzeihen kann.«
    »Nicht so schlimm, wie jemanden zu lieben, den man nicht haben kann«, entgegnete sie. Ich küsste sie.
    Als ich im Aufzug nach unten fuhr, war ich von allen Seiten umgeben von meinen Spiegelbildern. Und nicht eines konnte mir ins Auge blicken. Ich verließ das Hotel durch die breiten Glastüren, ging die Marmortreppe hinunter und über den großen

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