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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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schreien, wenn ich mich dem Baby nähere. Und Ramesh schlägt wieder auf mich ein, damit ich verschwinde. Aber ich komme nochmal wieder, und er schlägt mich wieder und wieder, bis ich spiele, dass ich sterbe und weglaufe. Die Leute bezahlen uns gut für die Show.«
    »So was habe ich noch nie gehört.«
    »Nein. Das ist unsere Idee, von Ramesh und mir. Aber als die erste reiche Familie uns bezahlt hat, wollten die anderen auch, dass der böse Geist von ihrem neugeborenen Sohn vertrieben wird. Und sie geben uns viel Geld, alle. Ich habe eine Wohnung. Sie gehört mir natürlich nicht, aber ich habe schon ein Jahr Miete im Voraus bezahlt. Sie ist klein, aber komfortabel. Ulla und ich können dort gut zusammen wohnen. Man kann die Wellen im Meer aus dem Hauptfenster sehen. Und meine Ulla liebt das Meer. Sie hat immer ein Haus am Meer gewollt …«
    Ich starrte Modena an, gleichermaßen gebannt von seiner Gesprächigkeit wie vom Inhalt seiner Worte. Modena war einer der schweigsamsten Männer gewesen, denen ich je begegnet war. Als wir noch beide Stammgäste im Leopold’s waren, hatte er in meiner Gegenwart manchmal wochenlang kein einziges Wort geäußert. Doch der neue Modena, der vernarbte Überlebende, war redselig. Ich hatte ihn verfolgen und in die Enge treiben müssen, um ihn zum Reden zu bringen, aber nun war er geradezu beunruhigend gesprächig.
    Während ich ihm zuhörte und mich an den neuen Modena, diesen verunstalteten und mitteilsamen Mann, gewöhnte, nahm ich den Klang seiner Sprache wahr, die besondere Melodie, die geprägt war von seinem spanischen Akzent und seinen raschen Wechseln zwischen Englisch und Hindi. Er mischte die Wörter beider Sprachen zu einem ganz eigenen Idiom, und als ich diesem sanften Singsang ganz versunken lauschte, fragte ich mich, ob hier die Erklärung für die rätselhafte Bindung zwischen Ulla und Modena zu finden war; ob die beiden vielleicht, wenn sie alleine waren, stundenlang geredet hatten und ob dieser zärtliche Wohlklang, diese Musik der Stimmen, sie vereint hatte.
    Und dann stand Modena unvermittelt auf und riss mich aus meinen Gedanken. Er bezahlte die Rechnung und ging hinaus, wartete vor der Tür auf mich.
    »Ich muss gehen«, sagte er und blickte unruhig nach links und rechts, bevor er mich mit seinen verwundeten Augen ansah. »Ramesh ist jetzt dort, vor dem President Hotel. Wenn sie zurückkommt, wird Ulla dort sein, dort wohnen. Sie liebt das Hotel. Es ist ihr Lieblingshotel. Sie liebt die Back Bay. Und heute Morgen ist ein Flugzeug aus Deutschland gekommen. Eine Lufthansa-Maschine. Vielleicht ist sie jetzt da.«
    »Du … achtest auf jeden Flug?«
    »Ja. Ich gehe nicht ins Hotel«, murmelte er und hob die Hand, als wolle er sein Gesicht berühren, strich sich aber stattdessen durch sein kurzes ergrauendes Haar. »Ramesh geht hinein. Er fragt nach ihr – Ulla Volkenberg. Eines Tages wird sie da sein. Sie wird da sein.«
    Er wandte sich zum Gehen, doch ich legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Hör mal, Modena, lauf beim nächsten Mal nicht wieder vor mir weg, ja? Wenn du irgendwas brauchst, wenn ich was für dich tun kann, dann sag es mir. Versprochen?«
    »Ich laufe nicht mehr weg«, sagte er ernsthaft. »Es ist nur meine Gewohnheit, wegzulaufen. Das war nur meine Gewohnheit, die da weggelaufen ist vor dir. Nicht ich, nur meine Gewohnheit. Ich habe keine Angst vor dir. Du bist mein Freund.«
    Als er sich erneut abwandte, hielt ich ihn wieder auf und zog ihn nahe genug zu mir heran, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern.
    »Modena, sag niemandem, dass du so viel Geld bei dir hast. Versprich es mir.«
    »Nur du weißt es, Lin«, versicherte er mir und verzog das Gesicht wieder zu dieser Grimasse des Lächelns. »Nur du. Ich würde das niemand anderem sagen. Nicht einmal Ramesh weiß, dass ich Geld bei mir habe. Er weiß nicht, dass ich mein Geld spare. Er weiß nicht mal von meiner Wohnung. Er glaubt, ich gebe meinen Anteil für Drogen aus. Aber ich nehme keine Drogen, Lin. Du weißt das. Ich habe nie Drogen genommen. Aber ich lasse ihn das glauben. Du bist anders, Lin. Du bist mein Freund. Dir kann ich die Wahrheit sagen. Dir kann ich vertrauen. Warum sollte ich dem Mann nicht vertrauen, der den Teufel selbst getötet hat?«
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine Maurizio, meinen Blutfeind.«
    »Ich habe Maurizio nicht getötet«, sagte ich und blickte stirnrunzelnd in die geröteten Augen.
    Sein Mund verzerrte sich zu einem verschwörerischen Grinsen, wodurch

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