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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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sahen uns entsetzt an. Es gab kein Entrinnen. Wir hatten es uns gerade zu bequem gemacht, um das Weite zu suchen, was Skorpion-George weidlich ausnutzte. Wir saßen in der Falle.
    »Oh Herr«, begann Skorpion-George.
    »Oh Gott«, murmelte Zwilling-George.
    »Und oh Herrin«, fuhr Skorpion fort, »unendlicher Yin-und-Yang-Geist im Himmel, wir bitten dich untertänigst, heute die Gebete von fünf Seelen anzuhören, die du in die Welt geschickt und vorübergehend in die Obhut von Skorpion, Zwilling, Abdullah, Vikram und Lin gegeben hast.«
    »Was meint er mit ›vorübergehend‹?«, raunte Vikram mir zu. Ich zuckte hilflos die Achseln.
    »Bitte hilf uns, Herr«, sprach Skorpion mit geschlossenen Augen und hob das Gesicht gen Himmel, der sich ungefähr auf Höhe eines Balkons im dritten Stock der Veejay Premnaath Akademie für Haarefärben und Ohrlochstechen zu befinden schien. »Bitte führe uns auf den richtigen Weg und zum richtigen Handeln. Und wenn du in Stimmung bist, Gott, könntest du uns bei dem kleinen Geschäft behilflich sein, das wir heute Abend mit dem belgischen Paar machen wollen. Ich muss euch ja nicht erklären, Herr und Herrin, wie schwierig es ist, in Bombay Kunden mit erstklassigem Kokain zu versorgen. Und dank eurer Vorhersehung ist es uns gelungen, zehn Gramm spitzenmäßigen Schnee aufzutreiben – was angesichts der Flaute auf den Straßen ein echt raffiniertes Kunststückchen von euch war, Herr, wenn ich euch mal ein Kompliment machen darf. Jedenfalls könnten Zwilling und ich unseren Anteil von dem Deal echt gut gebrauchen, und es wäre auch nett, wenn wir nicht über den Tisch gezogen, verprügelt, verstümmelt oder ermordet würden – es sei denn, natürlich, ihr habt dies mit uns im Sinn. Bitte erleuchtet also unseren Weg und erfüllet unsere Herzen mit Liebe. Ich mache jetzt Schluss, bin aber jederzeit erreichbar, wie immer, und sage Amen.«
    »Amen!«, sagte Zwilling, sichtlich erleichtert, dass dieses Gebet wesentlich kürzer geraten war als Skorpions übliche Bemühungen.
    »Amen«, schniefte Vikram und wischte sich mit den Knöcheln der Faust eine Träne aus dem Auge.
    »Astagfirullah«, murmelte Abdullah. Vergib mir, Allah.
    »Wie wär’s denn mit einem Happen zu essen?«, schlug Zwilling munter vor. »Eine Portion Religion versetzt einen doch immer in die rechte Stimmung, sich wie ein Schwein zu benehmen.«
    In diesem Moment beugte Abdullah sich vor und flüsterte mir ins linke Ohr: »Schau langsam – nein, langsam! Da rüber, neben dem Erdnussladen an der Ecke. Siehst du ihn? Deine Überraschung, Bruder Lin. Siehst du ihn?«
    Und ich wandte den Blick einer gebückten Gestalt zu, die im Schatten einer Markise stand und uns beobachtete.
    »Er ist jeden Tag hier«, flüsterte Abdullah. »Und nicht nur hier – auch an anderen Orten, wo du bist. Er beobachtet dich. Er wartet und beobachtet dich.«
    »Vikram!«, murmelte ich, weil ich noch eine weitere Bestätigung bekommen wollte. »Schau! Da an der Ecke!«
    »Was soll da sein, Mann?«
    Als er merkte, dass er entdeckt worden war, wich der Mann weiter in den Schatten zurück und entfernte sich dann so schwer humpelnd, als sei seine linke Körperhälfte schwer beschädigt.
    »Hast du ihn nicht gesehen?«
    »Nein, Mann. Wen denn?«, äußerte Vikram anklagend und starrte blinzelnd in dieselbe Richtung wie ich.
    »Das war Modena!«, schrie ich und nahm die Verfolgung des Spaniers auf. Ich schaute nicht zurück zu Vikram, Abdullah und den Tierkreis-Georges. Ich reagierte nicht auf Vikrams Ruf. Ich dachte nicht darüber nach, was ich tat und weshalb ich ihn verfolgte. Ich hatte nur noch einen Gedanken, ein Bild, ein Wort im Kopf. Modena …
    Trotz seines Humpelns war er schnell, und er kannte die Straßen gut. Als er in versteckten Eingängen und kaum sichtbaren Lücken zwischen Häusern verschwand, kam mir der Gedanke, dass vermutlich kein anderer Ausländer in der Stadt diese Straßen so gut kannte wie ich. Sogar die wenigsten Inder – von Schleppern, Dieben und Junkies abgesehen – hätten ihm folgen können. Er duckte sich durch ein Loch, das jemand in eine hohe Steinmauer geschlagen hatte, um von einer Straße in die nächste zu gelangen. Er verschwand hinter einer Trennwand, die aus Mauerwerk zu sein schien, jedoch aus bemalter Leinwand bestand. Er huschte durch behelfsmäßige Läden, die ihm eine Abkürzung boten, und wand sich durch ein Labyrinth aus leuchtend bunten Saris an einer Wäscheleine.
    Doch dann machte er einen

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