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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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allen.
    Schweigend rauchten wir unsere Beedies, und meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Nach und nach konnte ich Modenas Silhouette erkennen und merkte, wie klein er wirkte; durch die Verletzungen an seiner linken Seite schien er geschrumpft zu sein, und ich kam mir riesig vor im Vergleich zu ihm. Ich trat zurück ins Licht, nahm meine Tasche hoch und wiegte auffordernd den Kopf.
    »Garam chai pio?«, fragte ich. Wollen wir heißen Tee trinken?
    »Thik hain«, antwortete er. Okay.
    Ich ging ihm voraus durch die Gasse zu einem Chai-Shop, in dem Arbeiter aus einer Mühle und Bäckerei zwischen ihren Schichten ihre Pausen verbrachten. Die Männer saßen auf einer Holzbank und rückten beiseite, um uns Platz zu machen. Sie waren von Kopf bis Fuß mit weißem Mehl bestäubt und sahen aus wie Geister oder zum Leben erwachte Statuen aus weißem Stein. Ihre Augen, gereizt vom Mehlstaub, waren so rot wie glühende Kohlen aus den Feuerstellen unter ihren Backöfen. Ihre vom Tee befeuchteten Lippen in ihren gespenstisch weißen Gesichtern glichen Blutegeln. Die Männer starrten uns mit der üblichen indischen Unbefangenheit neugierig an, schauten jedoch rasch weg, als Modena ihnen sein entstelltes Gesicht zuwandte.
    »Tut mir leid, dass ich weggelaufen bin«, sagte er leise und blickte auf seine nervösen Hände in seinem Schoß.
    Ich wartete darauf, dass er weitersprach, aber er presste die Lippen zusammen und atmete geräuschvoll, wobei seine Nasenlöcher sich aufblähten und wieder in sich zusammensanken.
    »Kommst du … zurecht?«, fragte ich, als der Tee eintraf.
    »Jarur«, antwortete er mit einem kleinen Lächeln. »Kommst du zurecht?«
    Ich fand die Bemerkung unpassend und runzelte die Stirn.
    »Ich wollte dich nicht beleidigen«, sagte er und lächelte wieder. Das Lächeln wirkte seltsam, denn die schön geschwungenen Lippen standen in krassem Kontrast zu den starren Wangen, die nicht mehr beweglich waren und die unteren Lider nach unten zogen, jene kleinen Brunnen des Leids. »Ich will nur meine Hilfe anbieten, falls du sie brauchst. Ich habe Geld. Ich habe immer zehntausend Rupien bei mir.«
    »Was?«
    »Ich habe immer –«
    »Ja, ja, ich hab dich schon verstanden.« Er sprach leise, aber ich warf dennoch einen Blick auf die Männer aus der Bäckerei, um zu sehen, ob sie ihn gehört hatten. »Warum hast du mich heute am Markt beobachtet?«
    »Ich beobachte dich oft. Fast jeden Tag. Dich und Karla und Lisa und Vikram.«
    »Warum?«
    »Ich muss das machen. Um sie zu finden.«
    »Wen?«
    »Ulla. Wenn sie zurückkommt. Sie weiß nicht, wo ich bin. Ich gehe nicht … Ich gehe nicht mehr ins Leopold’s oder an die anderen Orte, wo wir uns getroffen haben. Wenn sie nach mir sucht, wird sie zu dir oder einem von den anderen gehen. Und ich werde sie sehen. Und dann werden wir wieder zusammen sein.«
    Seine Ruhe und Sicherheit, als er diese Worte aussprach und seinen Tee trank, ließ diese Bemerkung umso absurder wirken. Wie konnte er nur glauben, dass Ulla, die ihn blutverschmiert und gefesselt seinem Schicksal überlassen hatte, aus Deutschland zurückkommen würde, um mit ihm zusammen zu sein? Und selbst falls sie zurückkehren würde, wie könnte sie angesichts seines Aussehens, dieser grotesken Fratze der Trauer, etwas anderes als Grauen empfinden?
    »Ulla … ist in Deutschland, Modena.«
    »Ich weiß«, sagte er lächelnd. »Das freut mich für sie.«
    »Sie wird nicht zurückkommen.«
    »Oh doch«, erwiderte er leichthin. »Sie wird zurückkommen. Sie liebt mich. Sie wird zurückkommen, meinetwegen.«
    »Wieso –«, begann ich, ließ dann aber von meinem Gedanken ab. »Wie lebst du jetzt?«
    »Ich habe Arbeit. Gute Arbeit. Ich bekomme viel Geld. Ich arbeite mit einem Freund, Ramesh. Ich habe ihn getroffen, nachdem … ich verletzt war. Er kümmert sich um mich. Wenn reiche Leute einen Sohn bekommen, dann gehen wir dorthin, und ich ziehe meine Spezialkleider an. Mein Kostüm.«
    Die Art, wie er das letzte Wort betonte, und das brüchige kleine Lächeln auf seinem Gesicht lösten Besorgnis bei mir aus. Mein Unbehagen war mir wohl anzuhören, als ich das Wort wiederholte.
    »Kostüm?«
    »Ja. Ein langer Schwanz und spitze Ohren und eine Kette aus kleinen Totenköpfen. Ich spiele einen Dämon, einen bösen Geist. Und Ramesh, der tut, als sei er ein heiliger Sadhu, ein heiliger Mann, und er vertreibt mich aus dem Haus. Dann komme ich wieder und tue, als wollte ich das Baby stehlen. Und die Frauen

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