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Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
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brachte, hatte Rukhmabai aus dem bescheidenen Familienvermögen das größte des Dorfes gemacht. Sie besaßen jetzt fünf Felder, auf denen sie Früchte für den Export anbauten, die gute Gewinne einbrachten. Sie hielten drei Milchbüffel, drei Ochsen, zwei Milchziegen und ein Dutzend Legehennen. Sie hatten genug Geld auf dem Konto, um ihren beiden Töchtern später eine ordentliche Aussteuer mit in die Ehe geben zu können. Die beiden sollten einmal eine gute Partie machen und ihren Enkeln zu einem höheren sozialen Status verhelfen.
    Prabaker wurde mit neun Jahren nach Bombay geschickt, wo er in einem großen Slum in der Innenstadt wohnte und bei einem Onkel, der Taxi fuhr, in die Lehre ging. Angesichts ihrer Hoffnungen und Pläne für die Zukunft der Familie erweiterte Rukhmabai ihre Morgengebete. Dann hatte sie eine Fehlgeburt. Zwei weitere folgten in den nächsten Monaten. Die Ärzte kamen zu dem Schluss, dass ihre Gebärmutter nach der Geburt ihres dritten Kindes vernarbt sein musste, weshalb Rukhmabai die Gebärmutter entfernt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie sechsundzwanzig Jahre alt.
    Rukhmabais Herz wanderte durch die leeren Räume ihres Lebens: die Räume, die den drei nie geborenen Babys vorbehalten waren, und die Räume all der anderen kleinen Leben, die hätten sein können. Zwei Jahre lang war sie untröstlich. Selbst Kishans wundervolles Lächeln, das er sich unter seinen eigenen Tränen abrang, konnte sie nicht aufmuntern. Elend und todunglücklich wie sie war, kümmerte sie sich nur noch notdürftig um die Versorgung ihrer kleinen Töchter. Das Lachen verließ sie, und Traurigkeit senkte sich über die vernachlässigten Felder.
    Rukhmabais Seele siechte dahin, und womöglich hätte sie sich ganz in ihrem Kummer verloren, wäre da nicht diese Sache passiert, die das ganze Dorf bedrohte und die sie aus ihrer Trauer riss: Eine Bande von Dacoits, bewaffneten Banditen, hatte sich in der Gegend niedergelassen und begonnen, Schutzgelder einzutreiben. Und das nicht gerade zimperlich: Ein Mann in einem Nachbardorf wurde mit der Machete zerhackt. Eine Frau aus demselben Dorf wurde von den Dacoits vergewaltigt. Und dann erschossen sie einen Mann aus Kishans Dorf, der sich ihnen widersetzt hatte.
    Rukhmabai hatte den Ermordeten sehr gut gekannt. Es war einer von Kishans Cousins, der ein Mädchen aus Rukhmabais Dorf geheiratet hatte. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind aus Sunder nahm an der Bestattung teil. Am Ende der Bestattung sprach Rukhmabai zu den Dorfbewohnern. Ihr Haar war zerzaust, und ihre Augen glühten vor Zorn und Entschlossenheit. Sie schalt diejenigen, die den Dacoits Zugeständnisse machen wollten, und forderte sie auf, sich endlich zu wehren – zur Not auch mit Gewalt und Mord –, um ihr Land und ihr Leben zu verteidigen. Die Dorfbewohner waren von Rukhmabais plötzlicher Lebhaftigkeit nach ihrer zweijährigen Trauerstarre mindestens ebenso überrascht wie von ihrer martialischen Rede. Und sie ließen sich mitreißen und entwarfen an Ort und Stelle einen Widerstandsplan.
    Den Dacoits kam zu Ohren, dass die Einwohner von Sunder sich zum Kampf entschlossen hatten. Drohungen, Wortgefechte und weitere Raubund Streifzüge brachten den schwelenden Konflikt schließlich an einen Punkt, wo ein Gefecht unvermeidbar war. Die Dacoits stellten den Dorfbewohnern ein Ultimatum: Wenn sie nicht bis zum Tag x ein beträchtliches Schutzgeld zahlten, hätten sie mit fürchterlichen Konsequenzen zu rechnen.
    Die Leute bewaffneten sich mit Sicheln, Äxten, Stöcken und Messern. Frauen und Kinder wurden in ein Nachbardorf evakuiert. Unter den Zurückgebliebenen machten sich Angst und Reue breit. Einige argumentierten, dass dieser Kampf vermessen sei und dass es weniger schlimm sei, das Schutzgeld zu zahlen als zu sterben. Die Brüder des Ermordeten gingen durch die Reihen der Männer, trösteten und ermutigten die Kampfwilligen und riefen die Zauderer und Zweifler zur Ordnung.
    Dann kam die Warnung, dass sich Männer dem Dorf näherten. Die Dorfbewohner versteckten sich hinter Barrikaden, die sie hastig zwischen den Lehmhäusern errichtet hatten. Euphorisiert und ängstlich, wie sie waren, wollten sie schon losschlagen, als sie erkannten, dass diese Männer Verbündete waren. Prabaker, der eine Woche zuvor vom Krieg gegen die Dacoits erfahren hatte, hatte eine Gruppe von sechs Cousins und Freunden aus seinem Slum um sich geschart und war mit ihnen losgezogen, um seiner Familie Beistand zu leisten. Er war damals

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