Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shantaram

Shantaram

Titel: Shantaram Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory David Roberts
Vom Netzwerk:
Putzen, Waschen und selbst die Routinearbeiten zur Instandhaltung der Häuser erledigten die Frauen – meist die jüngeren, die von den älteren angeleitet wurden. Im Schnitt arbeiteten die Frauen von Sunder vier Stunden täglich. In ihrer Freizeit spielten sie viel mit den kleinen Kindern. Die Männer des Dorfes arbeiteten sechs Stunden am Tag, an durchschnittlich vier Tagen pro Woche. Zur Pflanz- und Erntezeit war natürlich ein größerer Einsatz erforderlich, aber im Allgemeinen arbeiteten die Dörfler von Maharashtra weniger als die Männer und Frauen in der Stadt.
    Das Paradies war es trotzdem nicht. Einige der Männer rackerten sich nach dem Arbeitstag auf dem Gemeindeland noch auf ihrem eigenen Feld ab und pflanzten Baumwolle an, in der Hoffnung, dem steinigen Boden einen bescheidenen Gewinn abtrotzen zu können. Und dann kam der Regen zu früh oder zu spät. Die Felder wurden überschwemmt, die Ernte von Schädlingen befallen oder durch Blattkrankheiten zerstört. Frauen, die ihre Kreativität nicht richtig ausleben konnten, mussten hinnehmen, dass ihre Begabungen still und langsam verkümmerten. Andere mussten mit ansehen, wie das Potenzial intelligenter Kinder vergeudet wurde, die an einem anderen, rührigeren Ort mehr hätten tun und werden können, die aber nie etwas anderes kennen lernen und erleben würden als das Dorf, die Felder und den Fluss. Manchmal, allerdings nur selten, fühlte sich ein Mann oder eine Frau so elend, dass die Nacht für uns alle im Dorf, die wir im Dunkeln mithören mussten, von Schluchzern zerrissen wurde.
    Doch genau wie Prabaker gesagt hatte, sangen die Leute fast jeden Tag. Wenn man annimmt, dass Wohlbefinden und Glück an reichlichen und guten Mahlzeiten, an Gelächter, Gesang und einer Grundfreundlichkeit festzumachen sind, dann übertrafen diese Dorfbewohner die Menschen im westlichen Teil der Welt bei weitem. In meinem halben Jahr in Sunder hörte ich nie ein böses Wort, sah nie eine im Zorn erhobene Hand. Darüber hinaus erfreuten sich die Männer und Frauen in Prabakers Dorf einer robusten Gesundheit. Die Großelterngeneration war füllig, aber nicht fett, die Eltern munter und kräftig, und die Kinder hübsch, gescheit und lebhaft.
    Alle teilten eine Gewissheit, die keine Stadt, die ich kenne, bieten kann: die Gewissheit, die entsteht, wenn der Boden und die Generationen, die ihn bearbeiten, austauschbar werden; wenn die Identität der Menschen und die Natur des Ortes eins sind. Städte sind Zentren permanenten, unumkehrbaren Wandels. Das typische Stadtgeräusch ist das Geratter von Presslufthämmern – das warnende Knurren, bevor die Viper des Big Business zubeißt. Der Wandel, der sich im Dorf vollzieht, ist ein Wandel des Immergleichen. Alles, was sich in der Natur verändert, ist binnen eines Jahreszyklus wiederhergestellt. Was aus der Erde kommt, kehrt stets zu ihr zurück. Was blüht, stirbt, um wieder neu aufzublühen.
    Als ich etwa drei Monate im Dorf gelebt hatte, schenkten mir Rukhmabai und die Menschen aus Sunder einen Teil dieser festen Gewissheit: einen Teil von sich und ihrem Leben, der meines für immer veränderte. An dem Tag, als der Monsun kam, schwamm ich mit einem Dutzend anderer junger Männer und etwa zwanzig Kindern im Fluss. Die dunklen Wolken, die schon seit Wochen düstere Stimmungen auf den Himmel malten, türmten sich jetzt über dessen ganze Breite auf und schienen auf die Wipfel der höchsten Bäume zu drücken. Die Luft war nach acht Monaten Trockenheit verschwenderisch mit Regenduft geschwängert, und wir waren vor Aufregung ganz aus dem Häuschen.
    »Paous alla! S’alla ghurree!«, riefen die Kinder immer wieder und griffen nach meinen Händen. Sie deuteten auf die Wolken und zerrten mich zum Dorf. Der Regen kommt! Los, wir gehen nach Hause!
    Als wir losrannten, fielen bereits erste Tropfen, die sich binnen Sekunden in Schnüre und dann in strömenden Regen verwandelten. Wenige Minuten später regnete es Sturzbäche, und nach einer Stunde fiel der Monsunregen sintflutartig, sodass selbst das Atmen schwierig wurde, wenn man nicht mit den gewölbten Händen vor dem Mund eine kleine Lufthöhle bildete.
    Die Dorfbewohner tanzten im Regen und spielten einander Streiche. Ein paar holten Seife und wuschen sich unter dieser Freilichtdusche. Einige gingen zum Tempel und knieten im strömenden Regen zum Beten nieder. Andere besserten ihr Dach oder den Abflussgraben aus, der rund um die aus Lehmziegeln gebauten Hauswände verlief.
    Irgendwann

Weitere Kostenlose Bücher