Shardik
als Shardik eingeräumt werde, um selbst darüber zu entscheiden, ob sie dahin oder dorthin gehen wolle oder nicht.
»Ihr könnt aber denen in Bekla sagen«, fügte sie hinzu, »wenn unser Herr Shardik wieder diese Freiheit bekommt, werde auch ich die meine ergreifen. Und ihr könnt auch Kelderek sagen, daß ich, wie immer er es beurteilen mag, ebenso gebunden bin wie er. Und daß er das eines Tages entdecken wird.«
Mit dieser Antwort hatte sie die Boten zurückgeschickt.
»So ein Miststück!« sagte Ged-la-Dan. »Glaubt sie denn, ihre Stellung erlaube ihr, ihren Trotz unter kecken Reden zu verbergen – wo sie unrecht hat und wir im Recht sind? Ich werde mein Wort halten und dazu nicht erst lange brauchen.«
Ged-la-Dan blieb einen Monat fort, und das kostete der Armee einen ernsten taktischen Rückschlag in Lapan. Er kam ohne die Tuginda zurück und sagte kein Wort über den Grund, bis ihn der von seinen Dienern auf Befragung der anderen Barone abgegebene Bericht hinter seinem Rücken allmählich zum Gespött aller machte. Es stellte sich heraus, daß er zweimal, beide Male ohne Erfolg, auf Quiso zu landen versucht hatte. Jedesmal waren er und seine Begleiter einer Betäubung zum Opfer gefallen, und sein Kanu war an der Insel vorbei stromabwärts getrieben worden. Das zweitemal war es gegen einen Felsen gestoßen und gesunken, und er und seine Begleiter waren knapp mit dem Leben davongekommen. Ged-la-Dan mangelte es nicht an Stolz oder Mut, aber bei seinem zweiten Versuch hatte er eine neue Mannschaft verwenden müssen, denn die Ruderer vom ersten Mal hatten sich geweigert, ein zweites Mal zu fahren. Kelderek, der sich nur mit Schaudern an seine nächtliche Reise nach Quiso erinnerte, konnte sich über die Hartnäckigkeit des Barons nur wundern. Es war klar, daß sie ihn teuer zu stehen kam. Noch viele Monate danach richtete er es sogar im Feld so ein, daß er nicht allein schlief, und er wollte auch nie mehr eine Bootsreise unternehmen.
War es also als Sühne für die Tuginda gedacht, daß Kelderek sich wenig darum kümmerte, was er aß und trank, keusch blieb und es anderen überließ, von dem Reichtum zu verbrauchen, wie er für die Größe des Königs schicklich erachtet wurde? Oft glaubte er, das sei tatsächlich der Grund, obwohl er sich zum tausendstenmal fragte, was er hätte tun können, um ihr zu helfen. Wenn er zu ihren Gunsten eingeschritten wäre, hätte er sich damit gegen Ta-Kominion erklärt. Er hatte aber, trotz seiner Ergebenheit für die Tuginda, leidenschaftlich Ta-Kominions Partei ergriffen und war bereit gewesen, ihm unter Einsatz seines Lebens zu folgen. Er hatte die Auffassung der Tuginda von Shardiks Macht nie begriffen, während ihm die Ta-Kominions klar war. Dennoch wußte er, daß er im Grunde nur, um seine eigene Tapferkeit in Ta-Kominions Augen zu rechtfertigen, mit ihm gemeinsame Sache in dem bestimmt verzweifeltsten Feldzug gemacht hatte, der sich je als erfolgreich erwiesen hatte. Nun war er Priesterkönig von Bekla, und er, nicht die Tuginda, war Shardiks Dolmetscher. Wieviel Verständnis besaß er aber wirklich, und wieviel von dem Sieg über die Ortelganer war tatsächlich ihm als Shardiks Auserwähltem zu verdanken?
Der Gedanke an die Tuginda war seinem Sinn niemals fern. Ebenso wie eine kinderlose Frau nach einigen Ehejahren ihre Enttäuschung nicht los wird, wenn sie denkt: »Was ist das heute für ein schöner Tag – aber ich habe kein Kind« oder: »Morgen gehen wir zu dem festlichen Gelage – aber ich habe kein Kind«, so wurden Keldereks Gedanken dauernd durch die Erinnerung daran gestört, wie er geschwiegen hatte, als die Tuginda gefesselt und fortgeführt wurde. Sie hatte ihre eigenen Überzeugungen gehabt, er dagegen nicht; und er hatte sich der Täuschung hingegeben, als könnte sie sich jemals mit Shardiks Gefangenschaft in Bekla einverstanden erklären. Manchmal wäre er bereit gewesen, auf seine Krone zu verzichten und nach Quiso zurückzukehren, um sie wie Neelith um Verzeihung zu bitten. Dann hätte er aber auf seine Macht und auch auf die Suche nach der großen Enthüllung verzichten müssen, von deren nahem Bevorstehen er manchmal so gut wie überzeugt war. Außerdem befürchtete er, die Barone würden, wenn er die Reise versuchte, jemand ihnen so Ungetreues nicht am Leben lassen.
Seine Zuflucht aus diesem Dilemma hieß Shardik. Da gab es keinen unverdienten Lohn in Form von Luxus, Schmeichelei oder Klage, nächtlich flüsternder Lust, keinen Reichtum
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